Sobald ich flüssig lesen konnte, zählte ich zu den
Bücherwurm-Kindern, denn früh hatte ich begriffen, dass man so der Realität
entfliehen kann. In der nächstgelegenen, kleinstädtischen Bibliothek war ich
junger Dauerkunde.
Heute komme ich nur noch dann zum Bücherlesen, wenn wir auf Reisen sind. Nun aber aus Entspannungsgründen und nicht, um einen Haken ums Leben zu schlagen. Bücher verschlingen kann ich allerdings nach wie vor. Dabei gefällt mir unterwegs das Tauschsystem besonders: man wechselt ein gelesenes Buch gegen ein neues, untereinander, in den Hostels oder den einschlägigen Bookshops, wobei die Auswahl dabei in aller Regel äußerst bescheiden ist. Zwei Bücher habe ich auf die Reise mitgenommen, hatte aber kein glückliches Händchen.
Bücherladen in San Pedro - Guatemala |
Klar war ich sehr neugierig, was mir wohl Anna Gavalda in
ihrem ersten Buch erzählen wird. Leider konnte ich ihr dieses Mal so gar
nicht folgen. In ihrem Roman *Ich habe sie geliebt* stellt sie die Liebe einer
Partnerschaft und einer Affaire nebeneinander. Und vergleicht dabei für meine
Begriffe Äpfel mit Birnen. Wenn alle Abgründe ausgelotet, alle Schwächen ans
Licht gezogen wurden, wenn Stress und Affekt uns in Momenten entstellt gezeigt
haben, dann weiterhin im Alltag Respekt, Höflichkeit und Achtung für die Werte
des anderen – die keiner so gut wie der Vertraute kennen dürfte – aufrecht zu
erhalten, das ist für mich Liebe. Und hängt immer auch vom Gegenüber ab. Hingegen ein bißchen Leidenschaft, die
angefeuert wird von der Ungewissheit und dem rausgerissenen, flüchtigen Moment,
zu leben – sorry – das kann doch fast jeder.
Aber es soll nicht gelästert werden, die Flops überspringend will ich euch die Buchentdeckungen vorstellen:
Einhelliger erging es mir mit dem Buch *Zwei an einem Tag* von David Nicholls. Es ist, als hätte Nicholls sich von den Goethe Worten inspirieren lassen *Und was die Mitte bringt ist offenbar, das was zu Ende bleibt und anfangs war*. Nicholls macht die Liebesgeschichte an ihrem Anfang fest, beginnt mit der ersten gemeinsamen Nacht und entwickelt die Geschichte derart weiter, dass wir die Beziehung zwischen diesen beiden Menschen über die Zeitspanne von 20 Jahren verfolgen - immer auszugsweise an diesem einen Tag im Jahr, ihrem Jahrestag. Nicht, dass mich diese Liebesgeschichte besonders berührt hätte, aber der Zeitgeist, der Hintergrund dieser Geschichte ist gut eingefangen. Und ich komme nicht umhin, festzustellen, dass ich zur gleichen Zeit (wenn auch nicht in England) älter geworden bin.
Der historische Roman *Jud Süß* von Lion Feuchtwanger, den ich nur zögerlich und aus Mangel an Alternativen an mich nahm, spielt im Württemberg des 18. Jahrhundert und riss mich mehr mit wie jeder Krimi. Wie Joseph Süß Oppenheimer, ein Jude aus einer Kaufmannsfamilie, zum mächtigen Finanzrat am Hof aufsteigt, sich verliert, wandelt und neu findet, ist derart mitreisend, dass ich die letzten Seiten mit Tränen in den Augen las. Brillant zeigt Feuchtwanger zudem auf, wie die unsägliche Verbindung zwischen Geld und Politik immer schon nur einigen Obrigen zum Vorteil reichte.
Sehr gefreut habe ich mich, auf ein Buch von Frederica de Cesco zu stoßen. Ihre Bücher *Das Sternenschwert* und * Der rote Seidenschal* zählen zu meinen meistgeliebten Jugendbüchern, ja, ich besitze sie bis heute. Als ich *Die Tochter der Tibeterin* von ihr in einem Regal stehen sehen habe, griff ich zu, ungeachtet dessen, dass es sich dabei um den Fortsetzungsroman zu *Die Tibeterin* handelte. Was mich beim Lesen auch keinen Moment gestört hat. Mit ihrer Mischung aus Treue zu sich selbst, der Verbundenheit zu einer geistigen Welt, der Liebe zu einem Seelenverwandten PLUS Pferdebegeisterung hatte sie mich früher schon immer auf ihrer Seite. Nun kam bei diesem Roman der Hintergrund des chinesisch besetzten Tibets dazu, was ihr gelingt genauso lebendig zu zeichnen wie ihre Protagonisten. Und der Wunsch, ein Mal in meinem Leben ein Vollmond- oder Erntefest der tibetischen Nomaden zu besuchen, ist nur gewachsen.
Besonders schwierig gestaltete es sich auf Kuba mein gelesenes Buch einzuwechseln, weil – wie bereits erwähnt – die Strukturen für individuelles Reisen so wie in den meisten anderen Ländern dieser Welt nicht wirklich vorhanden sind. Oft sind es nämlich die Aussteiger in den Travellerorten, die solch eine kleine Buchhandlung betreiben. Dennoch gelang in Havana *Das Narrenschiff* von Kathrine Anne Porter, das zum ersten Mal 1961 erschien, in meine Hände. Das in dieser Gesellschaftssatire gezeichnete Menschenbild ist bestenfalls als mäßig zu bezeichnen. Wer nicht über sein eigenes Unvermögen stolpert, fällt über seine Lebenslügen oder scheitert an Eitelkeit oder mangelnder Urteilsfähigkeit. Sehr zeitlos das Ganze also. Nicht gegeizt wird obendrein mit nationalen Klischees, die wie so oft, gerne aber nicht immer stimmen. Dass Deutsche seinerzeits als gefräßig galten, das stimmt in meinem Fall allerdings zu hundert Prozent. Glühend bewundert habe ich die damalige sog. Bildungselite für das Switchen-Können zwischen verschiedener Fremdsprachen bis in kleinste Nuancen – was ein großer Pluspunkt der gelungen Übersetzung ist, die mit vielen Fußnoten auch auf eben solche Feinheiten hinweist.
Ein Buch habe ich tatsächlich wieder mitgenommen nach F (ein kleines Wunder ob der Tonnen Huipils im Rucksack). Unsere
Reise nach Tibet beeindruckte uns so tief, wie keine andere Reise. Nicht für
möglich hätten wir gehalten, dass es Menschen gibt, die ob ihrer inneren
Schönheit aus sich selbst heraus leuchten. Im Jahr darauf zog es uns daher nach
McLeod Ganj, dem Exilort der Tibeter im indischen Himalaya und dem heutigen Wohnsitz
des Dalai Lamas. Eine tiefe Erfahrung war dort, am eigenen Leib die tibetische
Heilkunst erleben zu dürfen. Und den Dalai Lama vor seinem Volk sprechen zu
hören. Keine dauergrinsende Heiligkeit, die um Hilfe und Beachtung für sein leidgeplagtes Heimatland werben muss. In seiner eigenen Sprache zeigte sich der Dalai
Lama vor den Exiltibetern als tiefernster Mönch. Dies alles schicke ich voraus,
um zu erklären, wieso ich seither interessiert bin am tibetischen Buddhismus,
einer Religion, die über Jahrhunderte hinweg ihren Kern in dem fernabgelegenen
Schneeland bewahren konnte.
Das von dem geistigen und politischen Führer der Tibeter verfasste Buch *Den Geist erwecken, das Herz erleuchten*, ist teilweise nicht leicht zu lesen, weil ich nun mal nicht buddhistisch geprägt bin. Manches habe ich daher schlicht (gedanklich) übersprungen, um mich von dem Wesen dieser Religion nicht ablenken zu lassen. Zwei Zitate sollen euch einen kleinen Geschmack daraus geben:
*Bei aller Hochachtung vor anderen Religionen bin ich doch der Auffassung, dass nur der Buddhismus seine Anhänger dazu anhält, gläubiges Vertrauen und innere Überzeugung auf der Basis von Logik und Beweisführung zu entwickeln.*
Das von dem geistigen und politischen Führer der Tibeter verfasste Buch *Den Geist erwecken, das Herz erleuchten*, ist teilweise nicht leicht zu lesen, weil ich nun mal nicht buddhistisch geprägt bin. Manches habe ich daher schlicht (gedanklich) übersprungen, um mich von dem Wesen dieser Religion nicht ablenken zu lassen. Zwei Zitate sollen euch einen kleinen Geschmack daraus geben:
*Bei aller Hochachtung vor anderen Religionen bin ich doch der Auffassung, dass nur der Buddhismus seine Anhänger dazu anhält, gläubiges Vertrauen und innere Überzeugung auf der Basis von Logik und Beweisführung zu entwickeln.*
*Es ist offenkundig, dass unser Geist eine entscheidende Rolle spielt, wenn es darum geht, unser Leben glücklicher zu gestalten und mit mehr Sinn zu erfüllen. Das hat nichts mit dem Vollbringen spiritueller Meisterleistungen zu tun, es ist eine Frage des elementaren, gesunden Menschenverstandes.*
So kann man also auch auf Büchern reisen... eine ganz spezielle Reiseroute, anhand derer sich eure Reise nachvollziehen lässt. Bei einigen meiner Reiselektüren wieß ich auch noch, wo ich sie gelesen habe, weil ich sie nicht mehr aus der Hand legen konnte, andere verschwanden im geistigen Nirwana, weil sie völlig bedeutungslos waren. Bücher lasse ich auch meistens zurück und einige habe ich schon in Feriendomizilen entdeckt.
AntwortenLöschenDer letzte Satz vom Dalai Lama gefällt mir besonders gut. Irgendwie haben die meisten Menschen verlernt, sich auf ihren gesunden Menschenverstand zu verlassen (ich nehme mich da nicht aus) und stolpern dadurch hilflos scheinbar allgemeingültigen Normen und Glaubenssätzen hinterher, die doch gar nicht zu ihnen passen. Und definitiv nicht glücklich machen.
Herzlich, Katja
Dein Büchergeschmack scheint meinem zu gleichen. Frederike de Cesco habe ich als Jugendliche heiß und innig geliebt und "Zwei an einem Tag" liegt hier, und ich werde es hoffentlich bald anfangen.
AntwortenLöschenDanke für den Blick in deine "Reise"literatur
@Katja: Eigentlich gibt es wirklich wenig Bücher, die in mir nachhallen. Viel Lesen ist schlicht Unterhaltung. Schnell vergesse ich dann auch wieder, was ich gelesen habe und erinnere mich nur noch, ob das Buch mir gefallen hat oder nicht.
AntwortenLöschenIch erfreue mich daran, dass du auf ein Wort ähnlich wie ich reagiert hast *der gesunde Menschenverstand* - ein so volles Wort, das beinhaltet, Herr seiner Sinne und Wahrnehmung zu sein, etwas zu Ende und Durchdenken zu können, sachlich zu sein, wenn es auf Sachlichkeit ankommt uswusf.
@Stefanie: Oh, du auch Frederica de Cesco - dann brauchst du gar nicht viel weiterreden - DAS verbindet :). Als Jugendliche habe ich sämtliche Bücher von ihr, an die ich rangekommen bin (Kleinstadt-Bibl), verschlungen. Sie haben mich wirklich in meinen Träumen und Sehnsüchten bestärkt.