Boîte aux lettres 6

Donnerstag, 18. Juni 2015

Die Drôme aus einem ganz eigenen Blickwinkel: die Briefkästen seiner Bewohner. Eigentlich beginnt der Briefkasten ja langsam ein Gegenstand aus einer anderen Zeit zu werden. Zugegebenermaßen bin ich eine ganz lausige Brieffreundin (verständnisheischend zwinkere ich vorallem gerade Richtung Svea).

Für mich völlig unvorstellbar, wie es noch vor 200 Jahren Menschen gab - wie etwa mein Goethe - die ein phänomenales, literarisches Werk hinlegten, dabei keine Gelegenheit zum (beschwerlichen) Reisen ausließen und obendrein wirklich ausführliche Brieffreundschaften pflegten. Die HATTEN mehr Zeit als wir heute.

Sowieso und überhaupt ist jeder viel mehr Kind seiner Zeit ist, als man sich das so vorstellen kann. Am Habib und mir - zusammen trotz bekanntermaßen größerem Altersunterschied als der einer Generation - spüren wir tatsächlich soetwas wie einen kulturellen Unterschied. Obwohl wir JETZT zur gleichen Zeit leben, sind wir in unterschiedlichen groß geworden. Das prägt wahrnehmbar verschieden.

Wie eklatant anders allerdings Menschen aus sogenannten Naturvölkern gegenüber denen der Industrieländer ticken, ist mir zum ersten Mal in ganz neuem Ausmaß bewußt geworden, durch das Buch, welches ich die Tage, als die Hitze uns in die Bewegungslosigkeit drückte, im Schatten der Eiche las: *Vom Geist Afrikas*. Der Lebenslauf des Schriftstellers Malidoma Patrice Somé macht es ihm möglich mit den Augen eines Weißen (Studium an der Sorbonne) auf seine Herkunft zu sehen, und umgekehrt verwoben mit der Magie und den Ritualen seines Stammes die Welt der Weißen zu beurteilen.

Der Habib, der Afrikaliebhaber, kennt ja nun große Teile unseres Nachbarkontinents durch viele, viele Reisen - ich selbst habe Afrika bisher nur etwas beschnuppert in Tansania. Von all meinen Reisen fühlte ich mich dort aber besonders fremd, fühlte die *Andersartigkeit*. Was Malidoma Patrice Somé schreibt über die Art und Weise der Initiation der jungen Männer seines Stammes, klingt völlig fancy - nicht ansatzweise nachvollziehbar. Aber dabei auch schon wieder so abstrus, dass man es eigentlich nicht erfinden kann. Folgt man seiner Geschichte, dann wird bewußt, dass diese Menschen wie in einer Parallelwelt zu unserer leben. Mit das spannendeste finde ich sein Urteil, dass wir Weißen uns mit dem Geist der Maschine verbunden haben. Was macht das mit unserem Denken? Und sind wir überhaupt in der Lage, unser Denken denkerisch so fundamental in Frage zu stellen? Eben nicht nur kritisch zu überlegen, WAS wir denken, sondern WIE?


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7 Kommentare

  1. Und nochmal hoch und runter gescrollt, ob ich das heutige Rezept vielleicht übersehen habe:-) Schöne Briefkästensammlung und schöner Text. Und wirklich eine Rarität (und Freude) wenn zwischen all den Rechnungen und maschinellen Briefen mal ein handgeschriebener, selbstgedachter Brief im Kasten steckt.
    Liebe Grüße, Dagmar

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  2. Ich glaube ich werd gleich heute mal einen Brief schreiben - auch wenn die Post grade streikt.

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  3. Ich denke die Zeit müssen wir uns selber nehmen! Eine wunderschöne Fotostrecke.

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  4. Ganz wunderbar, diese Sammlung von Briefkästen. Also ich brauche nicht unbedingt grosse Hitze, um mich ab und zu in die Bewegungslosigkeit fallen zu lassen ... hihihi.
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

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  5. so viel Variationen bietet die Hauptstadt nicht… mein Favorit ist (natürlich) der Pfauenkopf. Liebe Grüße und gute Nacht!

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  6. @Dagmar: Wirklich. Eine Karte, ein Brief, ein paar handgeschriebene Zeilen - ich mags sehr gerne. Nicht nur, weil es so selten eworden ist.

    @Anna: Eine gute Idee! Eventuell Brieftauben vorhanden? :)

    @Ilse: Zeit zu haben, ist wohl im Kapitalismus der größte Luxus...

    @Andy: Ah, ohne Hitze ruft der Garten an allen Ecken und Enden - da zu einem ganzen Buch zu kommen, wird schwierig..

    @Svea: Dafür hat die Hauptstadt die schönste Streetart der Welt - folge ich deinen Bildern...

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  7. Handgeschriebene Briefe liebe ich auch sehr, daher habe ich auch begonnen, auf Instagram selbstgeschriebene Briefe zu verlosen. ich bin gespannt, ob sich daraus auch ein Austausch entwickeln wird. Wenn du magst, schicke ich dir gerne auch mal einen (du musst mir nur deine Adresse zukommen lassen).
    Liebe Grüße, Dani

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