Parcours de vie: Wirsing-Lasagne mit Pilzen

Mittwoch, 4. März 2020


Dieser Tage kürzte ich einen Vorhang. Und dabei kam alles wieder hoch, was ich am Nähen hasse. Mit voller Überzeugung hatte ich damals im zweiten Schneiderlehrjahr meine Ausbildung abgebrochen. Dabei lief es gar nicht mal so schlecht - das erste Lehrjahr in der Industrie als Bekleidungsnäherin absolvierte ich als Beste von Baden-Württemberg.

Der Master-Plan nach dem Abi lautete nach beendeter Schneiderlehre Kostümbild zu studieren. Nicht, dass ich vorher je genäht hätte. Aber mir fiel einfach nix anderes ein. Was habe ich Jörg* aus meiner Klasse beneidet, dem in der 5. Klasse schon klar war, dass er Arzt werden würde. Hey, und ich habe ihn gegoogelt - er ist heute Arzt. Ich wußte damals nur, dass ich die Schnauze gestrichen voll hatte von all der Theorie.

Aber dass es in der Praxis dann derart hart kam. Keiner hatte mich beispielsweise vorher aufgeklärt, dass Bügeln unabdingbar zum Nähen gehört. BÜGELN!!! Ach und diese Hockerei und diese Mini-Mikroskop-Fummelei - ich fands Horror. Genauso wie das Hinwerfen. Das war auch Horror. Weil ein Plan B fiel natürlich zeitgleich nicht vom Himmel.

Und doch war das eine wertvolle Zeit - rückblickend. Selbst wenn sich solche Brüche in der *Karriere* nicht zwingend schmuck machen. Ich wollte sie nicht missen. Im Gespräch mit meiner Freundin Florence, deren berufliche Vergangenheit hauptsächlich aus Schleifen - allerdings erfolgreichen - zu bestehen scheint, fiel das Wort *parcours de vie* für Lebenslauf. Ach, das gefiel mir sofort. Das ist doch viel bildhafter: das Leben als Trimm-Dich-Parcours.

Ohne weitere Umschweife fiel ich gedanklich zurück in meine Reiterferien als Teenie, in denen ich im Haupt-und Landesgestüt mein Reitabzeichen machen wollte. Den Reiterpass hatte ich bereits in der Tasche. Und Herbstball, mein brauner Wallach mit dem weißen Stern und ich schwangen schnell in Harmonie durch die Dressur, nich (für alle Pferdemädchen), so wie in Avatar, wo die Na'vi ihren Zopf mit dem Pferdeschweif verbinden. Genau so. Nur beim Springen schien Herbstball irgendwie kaputt zu sein. Wir ritten in gerader Linie auf das Hindernis zu, wo er im letzten Moment einen zackigen Schlenker drumherum machte. So beharrlich, dass irgendwann der Reitlehrer aufstieg, um mal nachzusehen, wo die Bremse hängt. Und siehe da: mit einem eleganten Sprung flog mein Herbstball samt Reitlehrer über den Oxer. 

Ich hatte nicht zugeben wollen, dass ich - trotz Reiterpass - noch nie gesprungen war. Und üblicherweise hüpft man anfangs erst einmal über ein paar Balken in Bodennähe und nicht gleich über richtige Hindernisse. Herbstball hatte mich völlig richtig verstanden. Springen war mir wie Bügeln. Oder so

Vielleicht kann man sagen, dass je bunter und unterschiedlicher ein Feld mit *Schikanen* aller Art in einer Biographie aufgebaut ist, umso vielfältier sind die Erfahrungen, die man daraus gewinnen kann!? Mit absoluter Sicherheit aber geht das mit deutlich mehr Mühen vonstatten als das Lesen dieses Satzes. Sowieso sieht man mittendrin die Chancen weniger bis überhaupt nicht. Ich war damals tief enttäuscht, als das mit dem Reitabzeichen nichts wurde, hatte aber mit Abbruch der Schneiderlehre erlebt, dass es stimmt, dass wenn man eine Tür schließt, sich eine andere dafür öffnet.

Mein weiser, weitgereister, lebenskluger und wachsamer Habib prophezeit mir, dass ich irgendwann in der Lage sein werde - so wie er - Ereignisse wie Perlen auf eine Kette zu fädeln, die dann auf einmal einen Zusammenhang erkennen lassen und nicht vereinzelt in der Landschaft stehen. Der berühmte rote Faden - es gibt ihn wirklich: *Wir hören von einer besondern Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören* (Goehte *Wahlverwandtschaften*). Darauf lebe ich hin.

Um zurückzufinden zu meiner Gardine: ich brauchte endlos. Fürchterlich! Ich konnte mir selbst kaum zusehen - es handelte sich ja schließlich nicht um einen Plissée-Rock sondern lediglich um ein pupsiges Stück Stoff. Und zu aller Schmach ist mein Vorhang noch nicht einmal gerade geworden. Selbstverständlich werde ich verschweigen, dass ich es war, die ihn gekürzt hat. Und eine Schneiderlehre werde ich ebenfalls nie erwähnen, wenn ich mit irgendjemand vor diesem Fenster stehe.

(*Name von der Reduktion geändert)


Zu diesem Text gehört eindeutig Pasta, oder?! Eine Lasagne. Dann wird das Leben fast wie automatisch weniger kompliziert wie das Kürzen eines Plissée-Rocks...

Zutaten 2-4P:

60g Einkorn-VK
40g Hartweizenmehl
1 Ei
1 EL Öl

400g Wirsing
50ml Gemüsebrühe
1/2 TL Kreuzkümmel
2 EL Sonnenblumenöl

150g Champignons
1 Zwiebel
2 Knoblauchzehen
40g getrocknete Tomaten
1 EL Rosmarin, fein gehackt
1 TL Thymian, getrocknet
Salz, Pfeffer
Piment d'Espelette
Olivenöl

35g Butter
1 1/2 EL Mehl
1 Schuß Weißwein
50ml Sahne

120g geriebener Käse (m: Tomme de Montagne)

Zubereitung:

Aus den Zutaten für die Lasagneblätter einen homogenen Teig kneten und mindestens 1 Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. Dann den Teig auswellen (m: mit Marcato - Stufe 6 von 7) - ergab 6 Blätter passend für meine Kastenform. In einer breiten, hohen Pfanne Salzwasser zum Kochen bringen und die Lasagne-Blätter nacheinander kochen, abtropfen lassen und auf einem Leinentuch glatt auslegen.

Den Wirsing in mittelfeine Stücke schneiden, mit dem Sonnenblumenöl mischen und mit dem Kreuzkümmel würzen - bei 200° für ca. 15min in den Ofen schieben, zwischendurch wenden. Dann die Gemüsebrühe anschütten und für weitere 5min im Ofen garen. Salzen und pfeffern.

Die getrockneten Tomaten mit kochendem Wasser übergießen und 15min ziehen lassen. Die Tomaten kleinschneiden - das Einweichwasser aufbewahren. Die Zwiebel fein würfeln, den Knoblauch von seinem Trieb befreien und ebenfalls fein würfeln. Die Pilze in Scheiben schneiden (je nach Größe vielleicht noch etwas kleiner). Die Zwiebel in wenig Olivenöl glasig dünsten, Pilze zufügen und mit den Tomante, dem Knoblauch und Rosmarin sowie Thymian weiter braten. Salzen, pfeffern und mit Piment würzen. Alles zur Seite in eine Schüssel geben. Die Pfanne zurück auf die Flamme stellen und den Bratansatz mit einem guten Schuß Weißwein lösen. Zusammen mit dem Einweichwasser der Tomanten kurz aufkochen lassen. Vom Herd ziehen.

In einem kleinen Topf die Butter schmelzen lassen, das Mehl darin rösten und mit dem Einweichwasser (insgesamt ca. 100ml) und der Sahne zu einer cremigen Béchamel-Sauce rühren. Salzen und pfeffern. Die Pilzmischung unterrühren.

Backofen auf 200°C Umluft vorheizen.

Nun das Schichten beginnen in eine gefettete Auflaufform (beginnend mit etwas Pilzsauce auf den Boden der Form):  Lasagane-Blatt/  Pilzsauce/ Wirsing/ Käse - beenden mit einem Pastablatt etwas Pilzsauce und ordentlich Käse

Im heißen Ofen ca. 30min knusprig golden gratinieren lassen.

Inspiration: Essen und Trinken


14 Kommentare

  1. Ach, Micha, ich schmunzele und seufze zugleich! Nicht nur, weil auch ich gerade – again – mit diesem scheinbaren Hindernislauf namens "Leben" oder gar "Karriere" hadere... Aber vielleicht ist genau das der Clou: Bei anderen mag es straight und geradlinig aussehen – dabei redet nur nie jemand über die Abzweigungen und Volten und Oxer auf den Wegen! Ich fand Kathrin Weßlings "Lebenslauf des Scheiterns" in der ZEIT in dieser Hinsicht neulich wahnsinnig erhellend. Und das mit dem Seufzen und dem Schmunzeln gilt freilich auch für diese fabulös klingende Lasagne! Ich würde sie so lieben, aber der Kerl und die Pilze... ach!
    Herzlich: Charlotte

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    1. Mittendrin, liebe Charlotte, steht man so knietief drinne - wo soll der Überblick herkommen? Ich bin ganz klar (und hiermit bekennendes) #Team Volte. Und anscheinend habe ich es gebraucht! Und findest du nicht auch, dass wenn man *Lebenslauf* durch *Parcours* ersetzt, man das Ganze nicht gleich viel sportlicher nehmen kann? So à la *Dabeisein ist alles* :-)

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  2. und wie gehts dann weiter?
    liebe Grüße
    Brilla

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    1. Mit Westernreiten und einer Ausbildung am Theater als Theaterplastikerin - Frage beantwortet, Brilla?
      liebe Grüße zurück...

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  3. Ach, so viele Oxer im Leben, soviel Umkehr und Scheitern und weiter und soviel Gutes darin, auch jetzt noch, trotz alles Ungemachs. Am schönsten finde ich die Blicke auf das Eingestehen eines Misslingens, eines Scheiterns, diese ungläubigen Blicke...Schon dafür lohnt es sich, die Umwege und Täler zu durchwandern, auch wenn man mittendrin manchmal bis zu drei Tassen an die buckelige Wand werfen möchte. Es sind noch mehr als genug da...Tassen!Herzlich, Sunni

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    1. Wobei, Sunni, (machen wir uns nix vor), der Moment schon ziemlich mager ist, wenn das Pferdchen partout nicht übers Hinderniss will. Die *Schönheit des Augenblicks* entfaltet sich erst VIELEviele Jahre später ;-) Ob man sich das im Moment des Scheiterns klar machen kann? Vermutlich ist das die gleiche Quadratur des Kreises wie sich bei strahlendem Sonnenschein ein Schneegestöber vorzustellen... Aber Tassen werfen sollte gehen... ganz herzlich zurück

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    2. Da hast du recht, der Moment ist mehr als mager und manchmal am direkten Aufgeben nahe dran. Oft. Bei den Blicken meinte ich "die anderen, denen es unmöglich erscheint, ein Scheitern oder beinahe Scheitern zuzugeben". Diese Verwunderung, wenn man doch eigentlich immer als stark, lustig, freundlich, hilfsbereit und erfolgreich angesehen wird. Wer schaut schon hinter den Vorhang eines anderen? Man wagt ja manchmal nicht, den eigenen noch einmal zu heben und zurück zu schauen, eben wegen der nicht guten Erinnerung. Und doch muss ich sagen: jedes Scheitern hatte letztlich - auch wenn ich manchmal mehrere Anläufe brauchte - sein Gutes bezüglich Wachsen und Einsichten, die ich sonst nie gewonnen hätte. Ganz herzliche Grüße euch Beiden! Sunni

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  4. Irgendwie ist das Rezept unvollständig?

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  5. Ach ja, Hindernisse. Meines ist lustigerweise gerade der gerade Lebenslauf.

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    1. Das macht mich nun wieder Lächeln. Wies is isses nix :)
      Aber du, ich bin mir sicher, dass der Jörg (aus meiner Beispielgeschichte) wirklich ein guter Arzt geworden ist. Also mit Schwung einmal durch die Kür ohne eine Latte zu touchieren, muss definitiv nicht das Schlechteste sein. Es sollen dabei sogar schon Sieger herausgekommen sein ;-)

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  6. Bei mir ist auch nichts geradlinig, irgendwas war immer. Ich hatte ganz lange die Vorstellung, dass ich Soz-Päd. studieren möchte. Ich habe das nach dem Abi auch getan - und mich derart gelangweilt und immer gewartet, dass nun mal was Spannendes, Wissenswertes kommt, dass ich nach dem ersten Semester weg war. Bei etwas, dass mich mehr gefordert hat, nämlich Jura. Hab ich auch durchgezogen, fand es aber im Ergebnis auch nicht so lebenswert. Habe noch Sinologie und Japanologie drangehängt und das dann aus Geldgründen doch sein lassen und als Juristin gearbeitet. Ich glaube, es sind die Brüche, aus denen man lernt. Und das ist mir wichtiger als Karriere.

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    1. Die einen, Susanne, arbeiten für Geld, die anderen für das Leben. Ja... ich weiß... klingt nur gut der Satz. So ganz stimmt er nicht.

      Wie sagt Marie von Ebner-Eschenbach so hübsch: *Wir werden vom Schicksal hart oder weich gekocht - es kommt auf das Material an.* Und wir zwei habens wohl kurvig gebraucht. Aber siehste: auf diese Weise erfahre ich mal mehr über deine Biographie - was meiner Neugier SEHR entgegenkommt ;-)

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    2. Marie sagt: *... wir werden hart oder weich ''geklopft'' - der Verschreiberling ist ein echter Freudscher ;-)

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