Was schön war #2

Dienstag, 16. Mai 2017


Mag das große Glück als Geschichte, als Sinfonie in Erscheinung treten, erklingen die schönen Augenblicke nur als Töne. Zu klein, direkt gesehen zu werden, zu wenig, um ein ganzes Blatt mit Inhalt zu füllen, ja, bedeutungslos, wenn nicht in Bedeutung getunkt. Wenn das Glück funkelt und glizzert, dann wirft die Zufriedenheit überhaupt erst das Licht darauf. *Nur das zufriedene Herz ist in der Lage, Wohlgefallen am Guten zu finden*.

Ganz licht war mir sonntagmorgens, als ich auf dem großen Tuch auf dem langen Holztisch die Kräuter zum Trocknen auslegte: den ersten Verveine des Jahres, Zitronenverbene first flash quasi, die vierte Ladung Zitronenmelissenspitzen, und in deutlich kleineren Mengen etwas Oregano und etwas Majoran. Stängel für Stängel ziehe ich durch die geschlossene Hand, um die Blätter abzureißen: die Kräuter breite ich auf der Decke aus, die Stängel kommen zur Seite. Bevor ich durch den Garten bin, habe ich die Kräuter aufwachen lassen: sie standen bereits eine Stunde in der kitzelnden Morgensonne.

Früher hätte ich mir dazu etwas Musik angemacht. Heute höre ich mir in dieser Zeit lieber selbst zu. Melisse, sagte ich zu mir, die sollte eigentlich allen gut tun. Vorallem den Sensitiven. Beruhigend, entspannend, ausgleichend in der Wirkung. Wer könnte etwas dagegen haben, innere Wogen zu glätten? Mein gutes Argument einst für Cannabis. Nur hat Melisse DEUTLICH weniger Nebenwirkungen. Eigentlich kurios, dass sich entgegen aller Propaganda Bewußtsein erst ohne jeden Rausch erweitert, aufklart und wach wird. Und dabei steckte ich meine Nüstern tief in die Zitronenmelissenspitzenduftwolke. Und hüpfte gedankenspringend weiter, in eine Ecke, die zu meiner Erleichterung ihre Spitzen verloren hat. 


Nein, es reibt und stupft nicht mehr. Nein, mein Gewissen geht es in dieser Angelegenheit gut. Und mir fällt ein, wie wir zu Jean meinten, dass heute aber wir dran sind, den café zahlen, nicht immer er, wo doch so viele auf ihrem Portemonaie sitzen, wenn Pasqual zum Abkassieren kommt. Und Jean lacht sein breites Lachen, greift nach seinem Motorradhelm und winkt ab: * Un café - un petit geste d'amitié - Was geht mich der Geiz der anderen an?* Genau. Das Gift der anderen! Verflixt nur, wie Familiengeschichtengift so direkt in die Blutbahn schießt... Und doch, welch Glück, der Pfeil ist stumpf... geworden.  Ich hebe den Blick und sehe, wie unsere Wildbienen zum Einzug in ihr Nest in der Hauswand vor dem Fenster tanzen. Welch ein Summen und Surren und Schwärmen! Und keine Selbstverständlichkeit! Schön, sie mit uns zu wissen. Schön, sich erwählt zu fühlen. Schön, dass sie bei uns wohnen wollen. Und obwohl ich auf ihr Gift allergisch reagiere, weiß ich, dass sie mich nicht angreifen. Wir können gut miteinander.

Und ich laufe nach draußen, *hörst du den Wiedehopf*, fragt der Habib, während ich eine abgefallene Blüte vom Löwenmäulchen aufgreife und zwischen meinen Fingern den Löwen brüllen lasse... Ein schöner, ein leiser Sonntagmorgen...



22 Kommentare

  1. welch ein inspirierender Morgentext! Lieben Dank und
    Lisagruß!

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    1. dann wünsche ich dir heute auch einen schönen Abend ;)
      Michagrüße zurück...

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  2. Du schreibst so schön, da wird einem warm ums Herz ... danke!
    Geniess den Tag und
    liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

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    1. Deine warmen Worte machen mir heiße Backen...
      Danke Andy und liebe Grüßen ins schöne Zürich

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  3. Ja, da wird einem gleich luftigleicht ums Herz.
    Liebe Grüße
    Andrea

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    1. Ja? Luftigleicht ums Herz hört sich suppi an!
      Auf jeden Fall so weitermachen, liebe Andrea!

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  4. Vielen Dank Micha für diesen wunderschönen Post, der mir heute besonders ans Herz geht, da ich gerade ein bisschen traurig über einige Dinge, die blöde laufen, bin.
    Aber genau diese kleinen Dinge machen das Herz wieder leichter, wir haben uns das ganze Wochenende über unseren wunderschönen, blühenden Garten, den neu zugereisten Kuckuck und die vielen trillernden Kröten in unserem Teich gefreut <3

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    1. Manchmal - also wenn es scheint, als hätte sich etwas gegen mich verschworen - dann beruhigt mich die Vorstellung, dass es auch noch VIEL schlimmer sein könnte. Vielleicht ein etwas merkwürdiger Ansatz, aber vielleicht hilft er auch dir? So oder so: Danke, liebe Britta für deinen lieben Kommentar!

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  5. Was ein schöner Text über die kleinen Freuden des Lebens!

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    1. Ist Leben nicht vorneweg eines: Alltag? Schön, dass du dich daran miterfreuen kannst!

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  6. Ein glücklichmachender Beitrag ... wundervoll ... Danke !

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    1. Also wenn ein paar Worte das bewirken könnten.... uijujuih, das wäre schon was!

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  7. Oh, diesen Post hätte ich gerne heute Morgen gelesen dann hätte ich bestimmt den Tag anders angefangen, leicht Füßiger, beschwingt!
    Viele Grüße,
    Jesse Gabriel

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    1. Dann wünsche ich dir, dass du leichten Fußes Richtung Wochenende schwingst, Jesse :)

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  8. Soooo schön geschrieben. :-) Danke!

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  9. Du bist so ein ansteckend glücklicher Mensch, liebe Micha. Immer eine Freude, dich zu besuchen.

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    1. Oh, Ilse, du Schmeichlerin - da machst mich ganz rührig! Schön, dass du dich anstecken läßt von mir!

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  10. Du kannst so schön erzählen. Bei uns sind die Kräuter noch nicht so weit, aber es wohnen auch Wildbienen in der Hauswand. Und Schwalben und Fledermäuse und Spatzen direkt unter unseren Schlafzimmerdielen. Nur der Pfeil mit den Familiengeschichtengift, der ist bei mir leider noch nicht so stumpf, aber das wird noch... vielleicht mit viel Melisse?

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    1. Ist das nicht besonders, wenn Wildtiere deine Nähe suchen? Wir nennen sie *unsere Selbstversorger*, wenn wir gefragt werden, ob wir Tiere haben. Denn auf weiteres tierisches Miteinander verzichten wir dem Reisen zu liebe (darüber seufze ich manchmal sehr... aber aufs Reisen will ich auch nicht verzichten...). Ach, und das blöde Familiengift... fies, nicht? Melisse und Geduld ist doch schon mal was. Und sich sorgsam Mühen um ein eigenes, zufriedenes, selbstgeachtetes Leben, dann verliert der Pfeil von alleine seine Wirkung...

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