Krisenfeste Brotlinge

Mittwoch, 18. März 2020


Als wir am Montag über nahezu leere französische Autobahnen fuhren unter digitalen Schildern hindurch, auf denen üblicherweise Staus, Umleitungen oder Pausen-Vorschläge angezeigt werden, war nun beharrlich der gleiche Text zu lesen:
       Covid-19
       Evitez des contacts sociales
Es war so unwirklich, ich fühlte mich wie in mitten in einem Sience-Fiction. Ehrlich, ein landendes Ufo auf dem Seitenstreifen hätte mich kaum noch erstaunen können.

Dank den vielen Reisen der letzten Winter an der Seite meines abenteuerlustigen Habibs komme ich ganz gut damit zurecht, mich an neue Umstände anzupassen und klebe nicht manisch an Gewohnheiten. Wenn alles mal ganz anders läuft, das erschüttert mich nicht. Eine Erfahrung, die eigentlich prinzipiell allen gut tut. Wobei gerade die Zügel schon mit aller Kraft herumgerissen werden. Dieser Frühling 2020 wird in das weltweite Gedächntis eingehen als das Frühjahr, in dem der Corona-Virus ausbrach. Alle Bürger aller Nationen werden sich erinnern. Der Beginn des weltersten, weltweiten Ausnahmezustands: auf gesundheitlicher Ebene, auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene.

Reden wir mit andern, dann begegenen uns überall zutiefst verunsicherte Menschen. Man ist bereit, alle Restriktionen hinzunehmen, so umwälzend sie auch sind. Keiner hätte es für möglich gehalten, dass derartige Maßnahmen wie Reise-, Bewegungs- und Versammlungsbeschränkungen in einer Demokratie je umsetzbar sind. Nun erleben wir ungeheuerliche Auflagen - unsererm eigenen Schutz zuliebe und dem anderer.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass mit der Argumentation der Sicherheit schon vieles umgesetzt wurde. Nun hat Macron gar den Krieg ausgerufen. Sofort fällt mir das bekannte Kypling-Zitat ein: *Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges.* Denn ich vergesse nicht, dass es in der Politik IMMER zwei Handlungsräume gibt: den vor dem Vorhang und den hinter dem Vorhang.

Zusammen mit dem Wunsch selbst zu denken, lehrte mich das Unterwegssein: je unruhiger, je undurchsichtiger eine Situation, umso wichtig ist es zu versuchen eine Meta-Ebene einzunehmen. Denn sich im Detail zu verlieren, bringt im Zweifelsfall nicht weiter. Zwei Fragen helfen dabei zuverlässig und bringen Licht ins Dunkel. Die eine Frage richtet sich nach innen: *Was hat das mit mir zu tun?* Und die andere Frage dreht sich nach außen: *Wem dient das Ganze? Wer profitiert?*

Christian Drostens Ratschlag vor dem Wochenende, nämlich sich nicht immer nur von denselben Leuten beraten zu lassen sondern ebenso von anderen Fachdisziplinen, nahm ich an. Ich zog - ein Mal mehr - meinen *zu Tisch mit...*- Gast den Investmentbanker Dirk Müller hinzu. Und nachdem ich mir seine Zusammenfassung nach Börsenschluß letzter Woche angehört hatte, wäre mir lieber gewesen, ich müßte mich lediglich mit einem neuartigen Grippe-Virus auseinandersetzen und nicht zusätzlich mit brodelnden Finanzmärkte, die von ganz oben eine Umstrukturierung der Besitz-, Macht- und Lebensverhältnisse nach sich ziehen werden: alles wird in Frage gestellt. Tiefgreifende Veränderungen stehen ins Haus - Ausgang offen.

 

Wie wohl tut mir die Natur um mich, der Garten, der duftenden Frühling, die zwitschernden Vögel. Wir schauen in unser Tal und atmen die ganz große Beständigkeit ein. *Und diese Kulisse wird genauso bleiben - mit oder ohne uns* sagt der Habib.

Das heutige Gericht kann man verwenden als Reste-Küche, für misslungene Katastrophen-Brote, als vegane-Burger-Bulette oder als multi-abwandelbarer Puffer. Ich finde, dass dieses vegane Rezept den Fleisch-Frikadellen von allen meinen seither ausprobierten am nächsten kommt. Drei Mal habe ich sie bereits zubereitet, mit unterschiedlich altem Brot, zwei-drei Tage alt, ganz trocken und 4 bis 5 Tage alt (also noch nicht völlig rösch) - für ideal für die Konsistenz hat sich letzteres gezeigt. Ein glasklarer Keeper - definitiv krisenfest.


Zutaten 2P:

200 g altbackenes Brot in Scheiben oder Würfeln
1 mittelgroße Zwiebel oder 3–4 Frühlingszwiebeln
optional eine Handvoll Spinat, Rucola, Petersilie
Kapern, getrocknete Tomaten, Pilze, Oliven...
(m: 150g gekochte, rote Beete, fein gerieben oder püriert)
3–4 EL Semmelbrösel
Salz
Pfeffer

Zubereitung:

Brot in einer Schüssel mit kochendem Wasser übergießen, so dass es bedeckt ist -fünf bis zehn Minuten einweichen lassen. (bei völlig trockenem Brot - en plus teils sehr vollkornlastigem - musste ich es zwei Mal übergießen, damit es ganz aufweicht/ zu frisches Brot wiederum suppt zusehr).

Das eingeweichtes Brot in einem Sieb abgießen und so gut es geht ausdrücken. Zwiebeln beziehungsweise Frühlingszwiebeln fein würfeln. Zusammen mit Semmelbröseln unter die Brotstücke kneten. Mit Salz, Pfeffer und beliebigen weiteren Gewürzen pikant abschmecken. Wichtig ist, dass die Masse nicht zu feucht ist und gut formbar. Nach Bedarf mehr Semmelbrösel dazugeben. Zu Brotlingen formen und in einer Pfanne mit reichlich Öl von beiden Seiten knusprig braten.

*Anmerkung m: dazu passt Salat aller Art, ofengeröstetes Gemüse oder Hummus - wie dieser mit roter Bete

Inspiration: Zeit


12 Kommentare

  1. Sie hören gleichzeitig auf Christian Drosten und Dirk Müller? Das ist interessant.

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    1. Wenn sie *hören* im Sinne von *zuhören* meinen, dann ja. Wenn sie allerdings *hören* im Sinne von *gehorchen* meinen, dann nein. Letzteres wird hier nicht outgesourced ;-)

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  2. Danke für das tolle Rezept! Hoffentlich gibt es bald mal altes Brot, damit ich es ausprobieren kann!

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    1. Brot sollte von ganz alleine alt werden - darin sehe ich ein kleines Problem :)

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  3. ... und das SCHMIERENTHEATER wird weitergehen, und aus Angst will sich's keiner eingestehen. Neu allerdings und erschreckend ist die Dimension, mit der "man" jetzt eingestiegen ist.....
    Ach, dürfte ich doch weiter träumen!!
    Wilhelm

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    1. *Schmierentheater*, da schreiben Sie was, Wilhelm. Hinzuschauen und zu versuchen, sich eine eigene Meinung zu bilden, ist immer ein unbequemer Weg. Einmal eingeschlagen, dann aber kaum mehr rückwärts zu gehen, oder?

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  4. Hallo...kann man überhaupt noch Ferienunterkünfte mieten in F oder ist das wie in D nur noch Geschäftsreisenden vorbehalten? Grüsse S.

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    1. Wir hoffen SEHR, dass dieses Jahr der Tourismus in Europa wieder zur Normalität zurückfindet - wie alles andere auch...

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  5. Cui Bono - Wer profitiert davon? Was genau bringt diese Frage? Außer einem schönen Einstieg in eine Verschwörungserzählung und in die Schuldzuweisung. Ist vielleicht schwer zu ertragen, aber nein, nicht immer geschehen Dinge, weil jemand davon profitiert, nicht alles folgt einem (geheimen) Plan, nicht alles lässt sich erklären und nicht immer gibt es einen Schuldigen. Aber das auszuhalten ist unendlich schwerer als das cui bono, da liess und lässt sich immer ganz schnell eine/r finden.

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    1. Es scheiden sich die Geister bei Willkür und Gesetzmäßigkeiten - die einen halten dieses schlechter aus, andere jenes...

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  6. Bei mir heißen die Brotbratlinge "Käspressknödel" und werden ganz ähnlich gemacht, nur dass statt des Gemüses halt kleine Käsewürfel (was an Resten grad so rumfliegt) in die Masse kommen. In Notfällen klappt das sogar mit selbstgemachten Semmelbrösel, ist allerdings nicht ganz so lecker, weil ein bisschen der Biss fehlt.
    Die Idee mit dem Gemüse und vorallem mit der roten Bete ist abgespeichert! Sobald ich nicht mehr so arg auf die Kohlenhydrate achten muss, kommen sie auf den Speisezettel!
    Dir und deinem Habib gute Gesundheit in diesen verrückten Zeiten!

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    1. Da schaue ich doch direkt, Stefanie, ob du deine "Käspressknödel" bereits verbloggt hast. Klingt super! Über unseren ähnlich gearteten Geschmack muss ich wohl nichts mehr hinzufügen :)

      Und ja, pass du ebenfalls auf Dich auf - was eine Zeit, wirklich! herzliche Grüße...

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