Paris ist weit weg V: Kartotten-Tarte mit Kerbel und Kumquat

Montag, 10. Februar 2020


Wenn mir mein Leben im Ausland für eines die Augen geöffnet hat, dann dafür, dass wir Deutsche auf reiblungslose Abläufe getrimmt sind. Wir LIEBEN es, wenn die Dinge wie geschmiert laufen, wenn alles wie eine gut gewartete Apparatur mit geölten Zahnrädern störungsfrei ineinandergreift - nich, so Wallace and Gromit-mäßig - dann, ja dann geht einem Deutschen das Herzen auf.

Ein Fränzi hingegen hat nicht den blassesten Dunst, was das sein soll: reibungslose Abläufe - il n'en a jamais entendu parler! Müßte ein französisches Team die Landschaft für den Welt-Domino-Tag aufbauen: nicht ein Stein würde fallen. Wirklich, da tut sich einem Land-Fränzi kein einziges inneres Bild vor Augen auf.

Das echte Leben sieht im Gegenteil so aus: man trifft sich, bleibt stehen, fängt an zu reden... und blockiert für alle anderen das Vorbeikommen. Typische Marktszene! Erst wenn etwas (eine Einkaufstasche) oder jemand (huch, ein anderer Marktbesucher) an einem hängenbleibt, dann weicht man mit vorgetäuschtem überraschtem *Pardon* einen Pseudo-Millimeter zu Seite. Bavarder (Schwätzchen) hat bekanntermaßen Vorfahrt. Überhaupt, das sei auch mal erwähnt, hat der inflationäre Gebrauch von *Pardon* hier im ländlichen Frankreich nicht viel mehr Bedeutung, wie *wenns Katzerl Schwanzerl hebt* (wie mein bayrischer Mediävistik-Prof gerne zu sagen pflegte). Man steht sich ja ständig gegenseitig im Weg.

Der Hang des Fränzis lieber ein Wort mehr als ein Wort zu wenig zu machen, zeigt sich besonders gut beim Einkaufen. Völlig undenkbar mit einem einfachen aber freundlichen Guten-Tag an einen Marktstand zu treten und dann zu sagen, was man gerne hätte. Bitte! Das gilt als grob unhöflich! Ein bißchen Zeit zur Plauderei sollte jeder haben - wo kommen wir denn hin? Also: was meint man zur Großwetterlage? Zu der heutigen im Speziellen? Und im Vergleich zu gestern? Als Auslandsdeutscher entwickelt man natürlich mit der Zeit Verständnis für den Austausch völlig unerheblicher Informationen.

Aber doch nicht, wenn drei hinter einem in der Schlange stehen!!! Und alle nacheinander das gleiche Gespräch führen wollen!!! Oder man selbst am Schluß noch andere Dinge am gleichen Tag vorhat wie nur Ziegenkäse zu kaufen.

Ganz schlimm wird es im Supermarkt. Der Habib schaut stets nicht nach der Kasse, auf der am wenigsten auf dem Band liegt, sondern geht danach, wo die wenigsten Menschen stehen. Bis heute konnte ich es mir nicht abgewöhnen, dass ich direkt nachdem ich alle Ware auf das Band gepackt habe, meinen Geldbeutel griffbereit gezückt halte. Immer schön auf ZackZack und in der Spur bleiben als Deutsche. Als Fränzi hinbgegen legt man selbst als Paar zuerst sorgsam alle Sachen nach dem Scannen in den Einkaufswagen zurück, sortiert und verpackt in verschiedene Taschen - während einer oder beide dabei sehr abgelenkt sind von dem Gespräch mit der Kassierin - bevor man überhaupt erst auf die IDEE kommt, mal Richtung Handtasche zu langen. Um dann ein Scheckheft hervorzuziehen! Ein Prozedere, an die sich die wenigsten Deutschen noch erinnern dürften (Stift suchen, Perso dazu, Scheck abreißen, durchs Maschinchen schieben lassen und auf dem winzigen Restfetzen oben im Scheckheft eintragen, wieviel Geld wofür damit ausgegeben wurde).

Szenarien, bei denen sich im deutschen Gehirn alleine vom Beobachten ein ganzes Kaleidoskop an Optimierungsmöglichkeiten auffächert.

Nicht zu vergessen diese Mode hier in der Drôme der winzigen Geldbeutel. Die Scheine passen nur zu Origami gefaltet hinein (dementsprechend lange braucht es, bis sie die Kassiererin entknotet hat) und nur mit Mühe kann man aus ihnen gerade so mit zwei Fingern Münze für Münze hervorzaubern. Wer Operetten liebt, wird beim Einkaufen auf dem Land in Frankreich seine Freude haben. Oder notabene das Nägelkauen beginnen.

Aber ich muss auch sagen: in all den Jahren habe ich wirklich nicht ein einziges Mal beobachtet, dass ein Fränzi ungeduldig geworden wäre. Gar nie. Nee, das muss man ihnen an dieser Stelle lassen: Hektiker sind sie nicht ansatzweise!


Der Kerbel, der frühe Frühlingsbote, verbindet sich ganz wunderbar mit Karotten und Kumquats. Mit dieser Kombi schmeichelt sich die französische Alltagsküche bei jedermann ein - ich bin beim Essen richtig ins Schwärmen geraten. Und *adorer* können die Fränzis wiederum ganz hervorragend. So wie Tartes und Quiches aller Art.

Zutaten 2-4P - Form mit Maße 34cm x 10cm::

400-450g Karotten
Saft einer 1/2 Orange
1 TL Koriander
1-2 TL Rohrzucker
Salz, Pfeffer
1 Stich Butter

1 Ei
50g Crème fraîche
1 Bund Kerbel
Salz, Pfeffer
Piment d'Espelette

100g Kumquats (ca. 5 Stück)
3 EL Pinienkerne
1/2 EL Balsamico, weiß
Saft 1/2 Orange
1/4 TL Kardamom
Salz, Pfeffer
1 Pr Zucker

Zubereitung:

Karotten sauber schrubben und je nach Größe (meine waren eher klein) halbieren oder vierteln. Dann diese über Wasserdampf garen. Anschließend in einer Pfanne in Butter und Gewürzen glasieren, bis Orangensaft fast völlig einreduziert ist.

Den Blätterteig entsprechend der Tarte-Form auswellen, die gefettete Form damit auslegen und den Boden einstechen.

Ofen auf 210 (O/U-Hitze) vorheizen.

Den Kerbel fein hacken und zusammen aus Ei, Crème , Salz, Pfeffer und Piment eine homogene Kerbel-Crème rühren. Diese auf den Boden der Tarte füllen. Darauf die glasierten Möhren setzen.

Die Tarte auf die unterste Schiene einschieben und für ca. 45min backen - die letzten 20 auf die 2.Schiene von unten wechseln.

Während die Form bäckt, die Kumquats waschen, Stielansatz knapp wegschneiden und in feine Ringe schneiden. Dabei die gegebenenfalls vorhandenen Kerne entfernen. Zuerst die Pinienkerne ohne Fett in einer Pfanne rösten und zur Seite stellen. Dann die Kumquats mit wenig Öl zusammen mit den Gewürzen kurz anrösten, dann den Orangensaft zufügen und einreduzieren lassen. Nochmals abschmecken und die Pinienkerne unterziehen.

Die Kumquats zusammen mit der Tarte servieren.


10 Kommentare

  1. Liebe Micha,
    welch schöne Beschreibung, die wir nur bestätigen können! Zum Schwätzchen halten fehlt uns leider das Vokabular. Aber welch entspannende Erkenntnis war es doch zu bemerken, dass sich in der Schlange in der Patisserie niemand aufregt, weil sich unsere 3 Kinder (und vielleicht auch wir) nicht entscheiden können, ob sie das Aprikosencremetörtchen, das Mousse au chocolate-Würfelchen oder doch lieber zwei Macarons nehmen und wenn ja welche Sorte? Kein genervtes Seufzen, kein grimmiger Blick, sondern im Zweifel Zeit für ein eigenes Schwätzchen und ein wissendes Lächeln, wenn wir mit unseren Köstlichkeiten und einem Dankeschön den Laden verlassen, zauberhaft...
    Herzliche Grüße aus dem Winterurlaub, allerdings völlig ohne Frühlingskerbel,
    Sylke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Unvorstellbar, liebe Sylke, Stress verbreiten bei der Qual der Wahl in der Pâtisserie - dafür müßte man ja fast schon Sado-Maso sein ;-)

      Neinnein, das kann keiner wollen! Zumal es mir bis heute nicht leicht fällt, mich zu entscheiden, wenn ich vor diesen süßen Versuchungen stehe... besonders in dieser einen Pâtisserie. Wieso sollte es euch also anders gehen!
      liebe Grüße an alle!

      Löschen
  2. Liebe Micha,
    wie wunderbar dein Einkaufsbericht ist - sehr gelacht: "Szenarien, bei denen sich im deutschen Gehirn alleine vom Beobachten ein ganzes Kaleidoskop an Optimierungsmöglichkeiten auffächert" - ich habe mich sehr wieder erkannt...
    Liebe Grüße, Susanne

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mir ist das erst in F aufgefallen, Susanne, wie sehr wir das mit der Muttermilch aufnehmen, diesen *Optimierungszwang*... man bekommt es später allerdings auch nicht mehr abgestellt. Irgendwas ist immer :)

      Löschen
  3. Wie gut das aussieht! Wenn ich ja etwas zu jeder Tages- und Nachtzeit essen kann, sind es Tartes.
    Diese stoische Gelassenheit beim Einkaufsschwätzle täte so einigen südhessischen Innenstädtlern hier mal ganz gut, mich eingeschlossen. In der Kassenschlange gibt´s reihum meist nur genervte und verkniffene Gesichter und wehe es kommt sowas wie "Kasse zwei, bidde Stornooo!", da hört man richtig, wie die Person hinter einem Puls bekommt. ;-) Die Sache mit den winzigen Geldbeuteln hat mich an meine Omi erinnert, sie hatte auch immer ganz zerknörzte Geldscheine darin und manchmal noch "Gutzli", und zwar ohne Papier. Da hat alles schön geklebt und das Auseinanderklamüsern hat besonders viel Zeit für ein Pläuschchen gelassen.
    Ganz liebe Grüße
    Christina

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. *Kasse zwei, bidde Stornooo!* :))

      Und lachen musste ich auch bei den Bonbons ohne Papier. Solche - direkt aus der Manteltasche mit Fusseln dran - bot mir die eine Oma durchaus noch an... Aber beide haben Bonbons geliebt. Ein Generationen-Faible? Könnte fast sein, oder?
      ganz herzlich zurück...

      Löschen
  4. Liebe Micha, auch ich musste sehr schmunzeln - wie gut beobachtet und geschildert mal wieder! Die Tarte sieht sehr verführerisch aus und da "Blätterteig" mir nun keine unüberwindbare Hürde mehr erscheint, auch gut umsetzbar. An Kerbel - DAS Frühlingskraut - ist hier noch nicht zu denken und leider habe ich im Garten mit ihm kein Glück. Da muss ich dann den Biohändler meines Vertrauens um Bestellung bitten. Viele Grüße sendet Hannah
    Viele Grüße von Hannah

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Eine Weile, Hannah, hatte sich der Kerbel bei uns im Garten immer wild ausgesät - nun nicht mehr, aber auf dem Markt lachen mich die Bunde geradezu unwiderstehlich an. Und Kerbel und Karotte - da passen nicht nur die Anfangsbuchstaben. Und hey, Blätterteig, Pillepalle, oder ;-)
      liebe Grüße zurück...

      Löschen
  5. Hach, Micha, toll, die Beobachtungen. Als ständen wir wieder steh-laufend auf dem Markt von Isle sur la Sorgue! So viele Pardons habe ich noch nie miteinander, nacheinander und ineinander gehört! Herrlich, genau so.
    Kerbel ist hier eigentlich nie zu bekommen, mal sehen, ob jemand ihn bestellen kann. Sehr fraglich.Leider.Alles andere ist kein Problem.Bises, Sunni

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Tyisch auch für ein Marktbesuch hier ist die Verwirrung, wer den nun an der Reihe ist. Dadurch dass die Körbe durch Dazwischenlangen gefüllt werden und keiner richtig Acht gibt, wer zuerst an den Stand getreten ist und wer später, ist ein SEHR beliebtes Gespräch auch das Abfragen, ob diejenigen, die rechts und links vor einem stehen, nicht doch VOR einem dran sind... ist aber meistens auch egal. Gepflegtes Durcheinander :) Das, liebe Sunni, macht das Einkaufen schon sehr entspannt hier. Und das kann ich sogar noch immer genießen! Bisou zurück...

      Löschen

Für Kommentare gilt: die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) wurden an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.