Umstellung: Gänseblümchen-Gnocchi

Sonntag, 22. März 2020


Als würden die Insekten gerade in ein Mikrophon summen. Man hört sie viel deutlicher. Es ist ruhiger geworden in unserem Tal. Noch ruhiger - man kann es sich kaum vorstellen. Eine Dimension stiller. Shavasana für alle. Es blöcken die frisch geschlüpften Lämmer auf der Weide, es ruft der Steinadler und in der Ferne spielt eine zaghafte Trompete, durch die offenkundig seit langem keine Luft mehr durchgepustet wurde. Sonst nichts. Großes Durchatmen. Ich säe Radieschen, Schwarzwurzel, Erbsen und Petersilienwurzel, verbuddle die ersten Setzlinge Kohlrabi, während der Habib Tomaten, Basilikum und Bechermalven im Treibhaus in Töpfchen drückt. Dazu vorsommerlicher Sonnenschein und Mirabellenblütenduft.

Wenn SO Ausgangssperre geht, komme ich gut damit zurecht.

Allem Anfang wohnt... doch der Zauber verbleibt im Garten. Wir versuchen wie alle anderen uns in der neuen Situation zurecht zufinden. Dementsprechend gibt es viel zu erzählen: Wie erlebst du diese Umstellung gerade - bei mir läuft es so... Das Internet ist voller solcher Geschichten. 

Ich freue mich sehr, dass sich Crest kurzfristig dazu entschieden hat, seinen Samstagsmarkt stattfinden zu lassen. Als Gemüsejunkie hänge ich an meinen Dealern. Zuerst irren wir mit einigen anderen durch das leere Innenstädtchen. Der Markt wurde verlegt, wird mir in der Bäckerei erklärt, auf einen großen Parkplatz. Wir finden ihn leicht, er ist eingezäunt und an seinem Eingang steht Polizei. Sie verlangen unseren Passierschein - bei Christine, die aus Cannes bloggt einzusehen. Wir hatten unsere im Auto liegen lassen. Für mich nicht ganz nachvollziehbar, warum ich mich erklären muss, dass ich einkaufen will, wenn ich direkt auf Gemüse zulaufe. Aber es geht wohl um den erlaubten Radius, den man auf dem Land drehen darf. Wobei dafür keine klaren Regularien existieren. Die Dörfer liegen hier weit verstreut, die Wege zum nächsten Supermarkt sind nicht ums Eck.

Auf dem Markt überall auf dem Boden markierte Distanzlinien, ungelenke Verkäufer, linkische Kunden, einige mit Handschuhen, wenige mit Mundschutz. Selbstbedienung ist offiziell nicht mehr erlaubt. Uraufführung einer lückenhaft vorgeschriebenen Choreographie. Und doch genießt man ein Stückchen Normalität: man plaudert mit Abstand miteinander - über ein einziges Thema. Es herrscht eine freundliche, zugewandte Stimmung. Die Sonne scheint, umgeben von viel Platz und frischem Essen. Noch ist alles nur anders. Noch touchiert das Virus kaum jemand unmittelbar.  Hauptsache die Infos sind so gesichert wie der Klo-Papier-Vorrat (herrlicher Link)

Vor den Lebensmittelläden bilden sich Schlangen - es gibt unterschiedliche Begrenzungen, wie viele Personen gleichzeitig einkaufen dürfen. Die gleichen Lücken wie überall (Mehl, Nudeln, Reis, Öl...) - fast alle hamstern. Fünf Wochen sind eine schwer zu überschauende Dauer. Man weiß nicht, was noch kommt. Die Stellschrauben können jederzeit enger gedreht werden (siehe Nizza mit seiner nächtlichen Ausgangssperre couvre-feu). Aus Verunsicherung will sich jeder versorgt wissen. Ich kann das verstehen.

Räumlich fühlen wir uns kaum eingeschränkt. Spaziergänge können wir in alle Richtungen unternehmen. Der große Garten ist jedes Jahr gleich arbeitsintensiv und fordert viel Aufmerksamkeit. Nur Feriengäste werden vorerst keine kommen - auch wenn für Ostern unsere gîtes wie immer frühjahresgeputzt glänzend bereit stehen. Weitere Gedanken dazu legen wir lieber auf Eis. 


Die Frage, wie man die Zwangspause nutzen kann, stellt sich uns also nicht vorrangig. Man könnte es Isaac Newton gleichtun, der,  nachdem die Universtät von Cambrigde im 17. Jahrhundert wegen der Großen Pest über ein Jahr geschlossen wurde, in dieser Zeit auf dem Land die entscheidenden Grundlagen legte für seine Theorie zum Licht und der Gravitationstheorie (via Dirk Müller). Wollen wir hoffen, dass sich für ähnlich geniale Köpfe die Home-Office (sehr witzig in der Heute-Show karikiert) entsprechend einrichten lässt...

Wir haben gestern auf der Terrasse den ersten Spargel der Saison gegessen. Da nichts gerade selbstverständlich ist, wurde er umso mehr genossen. Und zwar zusammen mit einer großen Portion Gänseblümchen - einer Inspiration, die ich von Petra mitgenommen habe. Zwar haben Gänseblümchen keinen großen Eigengeschmack (den verleiht meinen Gnocchi das Pesto), aber sie geben einen guten Biss. Und beim Gänseblümchenpflücken bin ich ganz und gar Kind - total alterslos, völlig aus der Zeit. Im Flow nennt man das heute - wenn man sich unbewußt als klitzekleiner Teil von etwas viel Größerem fühlt...   

Zutaten 2P:

100g Ziegenfrischkäse
80g Gänseblümchen
30g Parmesan, frisch gerieben
2 Eier, klein
40g Pesto (m: Bärlauch-Radieschenblätter)
90g Toastbrot, fein zerbröselt (m: Baguette-Semmelbrösel)

Zubereitung:

Ricotta, Parmesan, Spinat und Eier verrühren, die Brotbrösel untermischen und zum Schluss die Gänseblümchen (m: kleiner geschnitten) unterheben. Den Teig portionsweise auf die mit nicht zu wenig Weizendunst bemehlte Arbeitsfläche geben, zu einer Rolle formen, von dieser Stücke abschneiden und kleine Gnocchi abdrehen.

Die Gnocchi in leicht kochendes Salzwasser geben, die Hitze reduzieren und etwa 5 Minuten ziehen lassen.

Die Gnocchi mit einem Schaumlöffel aus dem Wasser nehmen, in Butter schwenken und auf vorgewärmten Tellern anrichten, mit Parmesan bestreuen und mit Gänseblümchen dekorieren.

*Anmerkung m: ich habe die Gänseblümchen kleiner geschnitten, weil mir sonst der Teig nicht zusammengehalten hätte - dann funktioniert das Rezept aber gut. Möglicherweise musste das sein, weil ich nicht wie Petra Toastbrot sondern Semmelbrösel verwendete.

Bei uns gab es einen Salat dazu.



8 Kommentare

  1. Beinahe hätte ich das nachkochen können, wir hatten eine üppig blühende Gänseblümchenwiese, doch die vielen Monsieurs Rasenmäher zum Opfer ;-)
    Aber dein Teller schaut köööstlich aus!

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    1. Knapp abrasiert ist auch abrasiert :)
      Anscheinend könnt ihr dem Charme von Gänseblümchen gut widerstehen. Vielleicht ist diese Rezeptidee ein Anreiz, dass sich die Blümchen in eurem Garten auch mal mehr strecken dürfen...

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  2. Liebe Micha,

    Euren Garten als Ablenkung vom Gedankenkarussell hätte ich jetzt auch gern, so richtige körperliche Arbeit, wenn meine Dienstleistungen aktuell schon deutlich weniger gefragt sind... Aber kochen hilft auf jeden Fall - und, von Dir zu lesen! Schön, dass Crest eine gangbare Lösung gefunden hat, davon könnten sich Märkte in D durchaus was abschauen (also abgesehen davon, dass die in Südfrankreich natürlich ohnehin schöner sind). Lasst es Euch gut gehen und uns weiter daran teilhaben,
    liebe Grüße,
    Sylke

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    1. Liebe Sylke, ja Garten und Natur sind IMMER Therapie - egal in welcher Situation. Ich danke dir für deine lieben Zeilen. So warme Worte tun auch IMMER gut :) Und ansonsten halte ich mich - so wie du - an das alte Motto, sich das Leben eine Wenigkeit schöner zu kochen. Funktioniert eben zuverlässig... Passt auf euch auf, bleibt gesund, munter und einträchtig! ganz herzlich Grüße zurück an Dich samt deiner ganzen Gang

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  3. Mal wieder, wie jedes Mal, ein leckeres Rezept zum nachkochen und immer sehr hübsch dekoriert. Ich liebe so was. Tja leider fühlt sich der Urlaub wie eine geträumte Seifenblase an...

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    1. *Urlaub* wird dieses Jahr wohl eine Art Zauberwort. Wird das diesen Sommer wieder möglich sein? Wollen wir hoffen, dass der Spuk bald vorüber ist - es wäre mein erster, südfranzösischer Sommer, indem ich unseren Garten nicht mit Feriengästen teile. Ich kanns mir noch nicht vorstelen...

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  4. Mut! Courage! Alles wird wieder gut werden. Und vielen von uns wird diese Zeit, wenn auch im Moment nervig, teilweise durch Einschränkung, als etwas Besonderes in Erinnerung bleiben. Wir können noch im Wald zu zweit spazieren gehen, auch wenn er sehr gerupft aussieht, wir dürfen die ersten Blümchen im Garten bewundern und mal ohne oder mit ganz wenigen Terminen leben. Die Angst, die doch überall ein Stückchen wohnt, darf nicht Besitz von uns ergreifen, nicht noch mehr Raum bekommen. Ich schalte nur einmal pro Tag Handy und PC ein, das reicht völlig. Das Homeschooling für meine älteste Enkelin kostet Zeit und macht Freude. Sie begreift Dinge, die bisher nicht klappen wollten, weil wir ZEIT haben, Dinge zu erklären. Und mir scheint dieser Frühling von einer besonderen Strahlkraft, vielleicht weil man sich mehr konzentriert darauf. Nach vielen Jahren ein Himmel ohne Flugzeuge, ohne Kondensstreifen, blau, ein wunderbares Blau. Bitte passen Sie gut auf einander auf! Herzlich, Sunni

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  5. Liebe Micha, herrlich sehen diese Gänseblümchen Gnocchi aus - da können Blumenmädchen doch gar nicht anders als nachkochen! 2 x Gnocchi pro Woche - sehr gerne! Die Idee mit dem Toastbrot hört sich auch interessant an. Auf Spargel müssen wir hier natürlich noch warten. Deine Eindrücke vom Wochenmarkt hören sich irgendwie schön an - anders als sonst, aber ich lese eine gewisse Friedlichkeit und Respekt, den Willen das miteinander - wenn auch auf Distanz - zu schaffen. So nehme ich es derzeit (meistens) auch hier wahr. Das Gute sollten wir uns aus dieser Zeit bewahren. Liebe Grüße von Hannah

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