Überdosis: Rhabarber-Tarte mit Holunderblütensirup und Joghurtcrème

Sonntag, 16. Mai 2021


Man hat ja von einigem genug gerade. Da bin ich nicht allein, ich weiß... Auf die lange Liste all der Dinge, derer ich gerade mehr als überdrüssig bin - kurz mit *Überdosis* übertitelt - zählt zweifellos der Gebrauch des Konjunktivs II (würde, hätte, könnte...)! Informationsfluss ohne gedachte, angenommene, mögliche, realistische oder unrealistische Sachverhalte ist seit Monaten völlig undenkbar! Denn mehr denn je ist jederzeit ALLES denkbar - besonders im Hinblick auf Leben und Tod.

Hantieren Künstler im Gespräch mit dem Konjunktiv II (gerne, wenn es um geplante, zukünftige Projekte geht) weiß man, dass diese Luftschlösser von diesem Phantasten NIE in die Realität umgesetzt werden. Aber schön, dass man mal darüber gesprochen hat. Hingegen für Politiker ist Konjunktiv II die normale Amtssprache. Da ist man als Zuhörer daran gewohnt, dass sprachlich alles an seidenen Fäden in der Luft baumelt, dass man keinen von ihnen beim Wort nehmen darf - schon gar nicht auf Langstrecke.

Momentan landet jedes Gespräch zwangsläufig eher früher als später bei dem allesbeherrschenden C-Wort und direkt im Anschluß bei Politik im allgemeinen und besonderen. Ebenfalls etwas, auf das ich gut und gerne verzichten könnte. Nicht von ungefähr zählt zum französischen Benimm, politische Themen zu Tisch zu meiden. Hier scheint man noch zu wissen, was mit der wertenden Aussage über einen Menschen *der macht doch Politik* gemeint ist. Denn wie gebärdet sich denn eine solche Person? Wahrheitsgemäß? Aufrichtig? Anständig? Welche Stimmung wird dabei verbreitet? Und wozu? Na? Mal drüber nachgedacht?

Vermutlich erhielt Politik zuletzt um den 2. Weltkrieg oder kurz um den 9/11 so viel Aufmerksamkeit. Jedes Katzenvideo hatte mehr Klicks bei Youtube als die Neujahresansprache der Kanzlerin, spöttelte einst Roger Willemensen über das Interesse an politischen Verlautbarungen. Eine kürzliche Umfrage des Allensbach Instituts wollte wissen *Wie sehr vertrauen Sie eigentlich noch den agierenden Parteien?* Das bedenkliche Ergebnis: über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung gab an, den Politikern nur noch wenig bis gar nicht mehr zu vertrauen (via Sahra Wagenknecht - empfehlenswerter Link zu dieser Ausgabe ihrer Wochenschau). Nich soooo super für eine Demokratie. Wie wählen, wenn man jenen misstraut, denen man seine Stimme übergeben soll?

Ach, mir wäre wohler, wenn ich in Zeiten wie diesen einen Beobachter wie den Roger in den Besuchertribünen der Parlamente dieser Welt sitzen wüßte! Sehr leider Konditional II! Sehr leider ist Roger Willemsen 2016 gestorben. Ein ganzes Jahr, von Januar bis Dezember 2013, nahm Roger Willemsen an den Debatten im Deutschen Bundestag teil, passiv als leidenschaftlicher Zeitgenosse und »mündiger Bürger« mit offenem Blick . So entstand sein Buch *Das Hohe Haus*. Man könne, begründete Roger seine Arbeit, einen so wichtigen Ort wie das Parlament - das dafür da ist, um die Regierung zu regulieren - nicht alleine den Journalisten überlassen, die ebenso wie die Politiker ganz mit dem tagesaktuellen Geschäften beschäftigt seien.

Ich habe Roger Willemsen immer besonders gerne zugehört (lieber als gelesen) - etwa wie hier in diesem Interview *Lesenswert* zu seinem Buch *Das Hohe Haus* oder in den Sternstunden des SZ, in denen er die Neugier als Leitmotiv seines Lebens hochhält. Oder hier im SWRUniTalk.... Ich höre ihm immer noch gerne zu (im Gespräch mit Karl Lagerfeld oderoder).

Ich mag seine verschwurbelten Sätze, die von seinem galoppierenden Intellekt geprägt sind, seine Schnelldenkerei mit riesigem, abrufbaren Fundus an Sach- und Lachbeispielen, wenn er Solidarität den Schwächeren gegenüber zeigte, ein Halbstarker (wie er sich gerne selbst nannte), in allem Hochtrabenden ebenso zuhause wie im Trash. Roger wollte Menschen sehen, die wie er für etwas einstehen, brennen, durchs Feuer gehen! Mich hat das sehr für ihn eingenommen.

So ist nicht verwunderlich, dass eine seiner größten Kritiken nach einem Jahr Hospitanz im Plenum dem mehr und mehr verpflichtenden Fraktionszwang galt: *wenig Überzeugungstäter sondern zunehmend Yuppies, die das Vermissen lassen, was man am ehesten unterstellen würde für eine parlamentarische Karriere: Haltung! Dem eigenen Gewissen verpflichtet sein.* Nachschwätzer, Wendehälse und Fähnchen im Wind, die nur die Lieder derer pfeifen, die ihnen die Karriereleiter halten, waren ihm ein Greuel!

Und - als Brückenschlag zu heute - beklagte Roger bereits 2013, dass seinen Beobachtungen nach das Interesse an echten Auseinandersetzungen verloren gegangen sei: drinnen im Reichstag wie draußen auf der Strasse. Man habe, meinte Roger, im Parlament dauernd das Gefühl, alles steht bereits fest, die Reden sind geschrieben, niemand läßt sich noch bewegen. Diskussionen mit dem Ergebnis *Sie haben mich überzeugt, ich muss meine Meinung überdenken, das Argument war gut, ich sollte meinen Standpunkt ändern*, Momente wie diese fanden nie statt. Man stelle sich seinem Gegenüber (anderen Parteien) nicht, zeige nicht nur maximales Desinteresse sondern ließe es im Umgang an grundsätzlichen Höflichkeiten fehlen.

Für alle, die Roger ebenfalls missen, denen empfehle ich außerdem das Feature zu Roger Willemsen im Deutschlandfunk (coucou Katharina). Einer meiner Lieblingssätze über ihn: Er war kein Urlauber, er war ein Reisender!

 


 

Es wird Zeit, dass wir uns wieder lebendig fühlen: Reisen und Erlebnisse, das hilft, sich nicht mit grauer Theorie rumzuärgern, sondern sich auf das eigene Leben zu besinnen! Mit den angekommenen Feriengästen (Wiedersehen macht Freude!) blüht die Hoffnung auf, dass wir alle wieder ein wenig mehr zu Atem kommen und dass das Leben wieder mehr aus süßen, lebenswerten Momenten besteht! In wenigen Tagen (Mittwoch!!) eröffnen die Restos und Cafés in Frankreich ihre Terrassen! YEAH! Mal wieder einen richtigen Café in einem richtigen Café - so gehen heute echte Events!

Nach gutem deutschen Kuchen buk ich mit der anderen Hälfte des Rhabarbers eine gute, französische Tarte - Expat-Dasein verpflichtet ;-)!

 

Zutaten - längliche Tarteform:

Tarteboden:
100g Mehl
50g gemahlene, geschälte Mandeln
40g Rohrzucker (m: zu Puderzucker gemahlen)
1 Pr Salz
70g Butter, nicht zu kalt
1 Eigelb
1 TL Crème fraîche
1/2 Tonkabohne, Abrieb davon

Hülsenfrüchte zum Blindbacken

350g Rharbarber
50g Himbeeren*
50g Rohrzucker
60g Holumderblütensirup (alternativ Saft einer Orange)
1 TL Orangenblutenwasser
4 TLSpeisestärke

300g griech. Joghurt
100g Mascarpone
2 Blatt Gelatine
30g Zucker 
2 TL Verveine-Blätter, feinst gehackt

Deko: gehackte Pistazien

Zubereitung:

Für den Boden alle Zutaten mit Hilfe einer Küchenmaschine zu einem geschmeidigen Teig verkneten, in Folie wickeln und 30min kalt stellen.

Inzwischen Rhabarber schälen und in 2 cm kleine Stücke schneiden. Zucker in einem Topf hellbraun karamellisieren. Mit Holunderblütensirup ablöschen, Rhabarber zugeben und 5 Minuten kochen lassen, bis der Rhabarber weich ist und der Zucker sich gelöst hat. Kompott mit der in Orangenblütenwasser (oder ein wenig kaltem Wasser) gelösten Stärke stark binden und abkühlen lassen.

Den Tarteteig passend zur länglichen Form so auswellen, dass man sie mit einem Rand auskleiden kann und für 30 min in den Froster stellen..

Den Boden erst mit Backpapier, dann mit Hülsenfrüchten belegen. Im vorgeheizten Ofen bei 200 Grad (Umluft 180°C) auf der 2. Schiene von unten 25 Minuten backen, nach 15 Minuten Hülsenfrüchte und Papier entfernen. Form aus dem Ofen nehmen und den Teig darin vollständig abkühlen lassen. 
 
Nun den Rhabarber auf den Boden glatt streichen und gegebenenfalls nochmals kalt stellen für 15-30min.
 
Währendessen die Crème zubereiten. Dafür die Gelatine in Wasser einweichen und etwas vorquellen lassen. Dann ausdrücken und in wenig Holunderblütensirup bei kleiner Hitze und ständigem Rühren lösen. Zuerst mit 2 EL Joghurt verrühren, dann mit den restlichen Zutaten sorgfältig mischen (m: Handrührer) und etwa 15min im Kühlschrank anziehen lassen. Wenn die Masse zu gelieren beginnt, diese auf dem Rhabarber verteilen und gut und gerne 5 Stunden kalt stellen.

Zum Servieren mit gehackten Pistazienkernen bestreuen. 

Anmerkung m: funktioniert natürlich auch nur mit Rhabarber/ Tipp: für eine Tarte-Form mit 26cm Ø den Tarteteig mit 160g Mehl und 80g Mandeln zubereiten, außerdem 100g Butter, 70g Zucker verwenden - Rhabarber und Crème kann man gleich belassen.

 

Apfelbäume sind wie die Quitten - Deko der Tarte - schon längst verblüht

4 Kommentare

  1. Liebe Micha, wie gut beobachtet! Und tja, ich hätte gedacht, dass die Rhabarberkuchenära für dieses Jahr mit dem vierten in Folge abgeschlossen wäre, aber siehe da: Konjunktiv II ;-) dieser lacht mich so an, dass er in absehbarer Zeit bei uns auf dem Tisch stehen wird - Futur I = nächstes Wochenende! Maigrüne Grüße von Hannah

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    1. Und, liebe Hannah, kannst du schon sagen, welcher Rhabarber-Kuchen bei euch die Nase vorn hatte! Dein Rhabarber macht ja vorbildlich - vielleicht hat auch ein anderes Rezept den Favoriten-Platz?

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  2. Deine Tarte gefällt mir auch besser als die deutschen Kuchen - aber zum Glück gibt's ja genügend Rhabarber. Da können wir die Überdosis mal so, mal so verarbeiten.

    Ja, Roger Willemsen fehlt. Nicht nur er.

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    1. Also ich mag ja beides, Barbara: deutsche Kuchen und französisches Gebäck. Dabei finde ich auch, dass beids seine Berechtigung hat. Die französische Pâtisserie kommt halt sehr filigran daher, weil meist nur als kleine Stückchen gebacken. Aber will man eine größere Runde mit Süßkram glücklich backen, dann hat definitiv der deutsche Kuchen oft seine Nase vorn. Für Zuckerbäckerei will ich einfach nicht lange in der Küche stehen ;)

      Und ja, es würden uns bestimmt noch mehr einfallen, die zu früh gestorben sind...

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