Inselglück - Rote Bete-Kartoffel-Gratin mit Thymian

Dienstag, 16. Februar 2021

 

Eine Freundin erzählte mir, dass sie den Reflex regelrecht unterdrücken müsse, ihrer Teenie-Tochter die Baseball-Cape ganz runter auf den Kopf zu ziehen, die diese nur so halb aufgesetzt trägt. Wir kicherten zusammen sehr: wir verstehen halt ihren Style nicht.

Genauso erging es mir, als ich dem Habib lachend-kopfschüttelnd von einem Youtube-Fund erzählte, nämlich von dem Rapper Capital Bra. *Was ist denn das?* amüsierte ich mich. *Was ist das für Mucke? Was soll das überhaupt für eine Sprache sein? Was ist das für ein komischer Beat? Und überhaupt: krasses Auto, dicke Kohle, voll Fame und eine getunte Bitch als Message?  Hey, nichts gegen den sympathisch-verstrahlten Capi, das kann man ja alles machen. Aber damit bricht man doch keine Rekorde der deutschen Musikindustrie (!) und erhält über 100 Millionen Klicks!??! Verstehe ich nicht. 

Aber was weiß ich schon von der heutigen Jugend - ich bin in einer anderen Zeit aufgewachsen. Einer völlig anderen. Das hat auch mit der Vorarbeit der Jugendgeneration des Habibs zu tun, die sich freigeboxt hatte von der Bevormundungen der Eltern, die sich gegen die konservative Gesellschaft stellte, rebellierte gegen den *Muff von Tausend Jahren*, während die Pille althergebrachte Strukturen der Partnerwahl aufweichte und Pazifismus von der Jugend nicht zu trennen war.

Ich wuchs danach auf, in den fetten Jahren vor der Digitalisierung. Mit Kindergeburtstagen, bei denen uns die Süßigkeiten in alle Körperöffnungen gestopft wurden, wir aus der Metzgerei rauskamen mit einem Wienerle in jeder Hand, das Ende des kalten Krieges, es war die Zeit der Abrüstung, des Mauerfalls, ein paar Lichterketten gegen Kriege, die woanders stattfanden (für alle, dies vergessen haben: in D mit den Grünen), viel politischer als auf der Love-Parade, wo alle für freie Liebe (und auf Drogen) tanzten, wurde es nicht, Mode drückte Musikgeschmack samt Lebenseinstellung aus - und trotzdem trugen wir alle weiße Tennissocken. Wir lebten in WGs, teilten uns ein Telefon, soffen wie die Haubitzen, die Doppelseite des Dr.Sommer-Teams der Bravo hatte uns supi aufgeklärt, wir konnten uns frei ausprobieren - ja, ich behaupte, gerade was die weibliche Sexaulität anging, waren wir nie unbeschwerter, denn keine fremden Bilder wurden uns von außen ins Gehirn gedrückt. Deshalb machten wir nicht zwangsläufig nur gute Erfahrungen und vor allem mussten wir feststellen, dass wir deshalb nicht automatisch beziehungsfähig sind. Kurzum: alle Türen standen uns offen, alles stand bereit - das größte Problem war, selbst zu wissen, was man will. Ansonsten galt: verwirkliche dich selbst. Oder wie nannte es eine andere Freundin meines Alters:  unsere Jugend fand auf der Insel der Glückseligen statt.

Was hat das mit heute zu tun? Nix. Heute muss man sich - ob man will oder nicht - im WWW dem weltweiten Vergleich stellen. Nix kann man mehr einfach ausprobieren, vor dem ersten Kuss steht der erste Porno, für wirklich alles gibt es ein Scheiß-Tutorial, alles ist katalogisiert, einkategorisiert, systematisiert - inklusive jedes einzelnen Menschen samt seinem Marktwert.... und wenn ich mir nur irgendwie die Haare zusammenwurschtel, hat *meine Frisur* nun die Bezeichung *undone/ messy bun*. Nirgendwo hat man seine Ruhe, nirgendwo mehr ein Stückchen weiße, unbeackerte Landkarte. Und an welchen Ecken und Enden dieser Welt man auch zieht, man langt armtief in überwältigende Probleme. Wo ist da Gelegenheit für jugendliche Leichtigkeit? Und wo kommen eigentlich die Ghettos in D her, wie man sie in einigen Mero Videos sieht. Die gabs so in meiner Jugend noch nicht.

Also träumen die Kids vom fetten Fame und Reichtum - wie kann man es ihnen verdenken -, weil sie mitspielen wollen im großen Spiel des Kapitalismus, womit auf den Social-Media-Kanälen so üppig geprotzt wird und wo die Welt erscheint wie ein einziges Selbstbedienungeinkaufparadies.

Und dann erkennen die Rapper Heros, die es geschafft haben, die endlich oben angelangt sind, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, dass sie im Erfolg sich selbst samt ihrer Freiheit verlieren, keine Ruhe, keinen Frieden finden: *Die Uhr an meiner Hand kostet 50 Riesen, ich bin dennoch nicht zufrieden*, dass alles seinen Preis hat, dass sie Anfeindungen und Neid ausgesetzt sind oder dass sie durch all den Hype so unter Stress geraten, dass ihnen die Gürtelrose bis ins Auge wandert. But so what - was stattdessen anstreben? 

Was ist nur mit dieser Welt los? Vieles ist im Umbruch. In einem rasanten Umbruch. Mit derlei Fragen setzt sich Sybille Berg in ihrem umjubelten Roman *GMF. Brainfuck* auseinander, der gezeichnet ist in den Farben einer Dystopie, aber dabei die Jetztzeit porträtiert - lesenswertes Interview dazu etwa im DLF oder sehenswert: Sybilles Auftritt auf der re:publica 2019. Ich weiß, dass wer versucht realistitisch hinzuschauen, von außen leicht als Pessimist wahrgenommen wird. Unbequem ist es allemal - aber Sybille hat beeindruckend gut recherchiert. Hey: und keiner will hier morgen den Weltuntergang verkünden. Die eigentliche Botschaft ist: Mache die Augen auf und erkenne, was ist! Das beste Werkzeug, um seine Lebensgestaltung im Jetzt und hier aktiv selbst in die Hand zu nehmen, ist Bewußtheit.



 

Dieses Gratin habe ich nun schon zwei Mal auf den Tisch gebracht, denn ich habe mir direkt alle Finger geschleckt. Und ich bemühe mich, regelmäßig Rote Bete auf den Tisch zuzubereiten, denn sie ist sehr gesund: hier bei *Freundin* (letzter Link des Tages) findet ihr auf einen Schlag sieben gute Gründe, die euch für die Rote Bete einnehmen sollte. Und wenn die Vernunft nicht weiterhilft, dann überbrückt diese Lücke bei diesem Rezept der Geschmack. Dazu einen Salat... mehr brauche ich wirklich nicht, um mittags zufrieden zu schnurren...

 

Zutaten 2P:

350g Rote Bete
350g Kartoffeln
100ml Sahne*
150ml Milch
1 TL Kartoffel-Stärke
Salz, Pfeffer

Piment d'Espelette
Thymian
Muskat
Ziegengauda (m: Tomme de Brebis)

Zubereitung:

Den Backofen auf 180°C vorhiezen. Eine ofenfeste Form einfetten.

Die Kartoffelstärke in etwas kalter Milch glatt rühren. Den Rest der Milch samt Sahne zusammen mit dem feingehackten Knoblauchzehen und dem Thymian aufkochen und dabei leicht eindicken lassen. Mit Salz, Pfeffer, Piment und Muskatnuss würzen.

Rote Bete und Kartoffeln schälen und beides mit einem Gemüsehobel (V-Hobel) in dünne Scheiben schneiden.

Rote Bete- und Kartoffelscheiben abwechselnd in der Backform verteilen. Wer mag, gibt ein wenig des geriebenen Käses bereits in die Mitte davon. Die Sahne-Mischung über die Rote Bete- und Kartoffelnscheiben gießen. Den restlichen Käse sowie etwas Thymian darüber streuen. Nochmals pfeffern

Das Rote-Bete-Kartoffelgratin im Backofen auf der mittleren Schiene etwa 45 Minuten backen

Anmerkung m: ich habe beim 2. Mal noch etwas weniger Sahne und etwas mehr Milch verwendet

Inspiration: Siasoulfood

 

 

18 Kommentare

  1. Oh, ich liebe Kartoffelgratin und Rote Bete und Ziegekäse.
    Das kommt unbedingt auf den Essensplan für nächste Woche.
    LG, Anna

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    1. Ja, dannn hoffe ich, dass es euch so gut geschmeckt hat wie uns :)

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  2. Wahnsinn, Micha, was du da immer alles an Inhalten zusammenträgst! Da benötige ich ja mehr als einen Tag um all deinen Links zu folgen!
    Die weißen Tennissocken haben mich sehr amüsiert. Der Rest drückt aber schwer.
    liebe Grüße, Sonja

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    1. So gehts mir auch, Sonja, für die Links benötige ich auch ebenfalls mehr als einen Tag - schließlich verlinke ich nur, was ich komplett gesehen oder gelesen habe und eben die Inhalte, die ich es wert finde zu teilen! Danke für dein Lob: so würde es mich freuen, wenn bei unter den Links einer darunter ist, mit dem du was anfangen kannst!

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  3. Liebe Micha, die jungen Menschen in meiner Umgebung gehen alle acht Wochen Blutspenden (in Frankreich ohne finanzielle Aufwandsentschädigung), leben vegan, kaufen nur noch second hand (auch wenn's jetzt vintage heisst), ketten sich an Bäumen fest und leben wochenlang ohne jeglichen Komfort in winterlichen Baumhäusern, ziehen ein Basic-Handy einem Smartphone vor (weil das ihnen die Zeit raubt), haben sich während des ersten lockdowns freiwillig als Hilfskräfte in Pflegeheimen verdingt etc etc… nein, natürlich lang nicht alle. Aber richtig viele. Und ich bin voller Bewunderung. Du hast recht, jugendliche Leichtigkeit sieht anders aus, vor allem momentan ist die ein rares Gut. Herzliche Grüße aus der Grossstadt!

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    1. Dann, Svea, bist du ja umgeben von einer Traube alternativer Jugendlicher. Inspiriert dich das dann auch für dein eigenes Leben? Nun, das siehst du bestimmt gleich, sind diese Alternativen *die anderen* - und die anderen gehören schon immer zu der Minderheit. Womit eine der Gretchenfragen wäre, ob man überhaupt zur Mehrheit zählen will...

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  4. Ich erwische mich manchmal bei dem Gedanken, den ich nie haben wollte:ne, diese Jugend von heute...
    Rote Beete und Ziegenkäse werden hier auch gern gemixt, mit Kartoffeln und als Auflauf muss ich noch probieren.
    Liebe Grüße
    Nina

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    1. Nina, aber bestimmt denkt man so, weil die Jugend in einer so derart anderen Zeit groß wird. Und welchen Herausforderungen steht sie gegenüber! Ich habe größten Respekt davor - und bin SEHR froh, früher jung gewesen zu sein.
      Dicke Empfehlung für das Gratin ;)

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  5. Fantastisch! Dank Dir - und mit Unterstützung des ausgewiesenen Fachblatts für Ernährung ;o) schmeckt mir die rote Beete gleich noch besser. Das ist wirklich ein tolles Gemüse. Ich mag sie am liebsten in Kombi mit Meerrettich. Den Gratin teste ich am Wochenende! Liebe Grüße, Marion

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    1. Übersichtlicher als *die Freundin* bekommt *ein ausgewiesenes Fachblatt* die Vorzüge von Rote Bete auch nicht präsentiert. Oder hast du überhaupt geschaut, Marion, bevor du lästerst ;D Dir auch ein schönes WE!

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  6. Dieses Rezept hab ich sofort ausprobiert, wir sind begeistert! Danke dafür.
    Liebe Grüße, Juliane

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    1. Bei uns, Juliane, kommt dieses Gratin auch unter die Keeper - schmeckt doch absolut spitze! Danke für dein Feedback :)

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  7. Liebe Micha, ach, meine liebe Seelenschwester, soweit weg und doch so nah!
    Ich bin Jahrgang 1954 und manchmal klingen die Worte meiner geliebten Großmama in mir:
    "Euere Freiheiten hätte ich auch gern gehabt..."
    Ja, wir konnten ( auch in der DDR ) uns an das Erwachsenwerden HERANTASTEN mit Reiseträumen, verbotener Westmusik und verbotener Literatur und Sex in zarten Schritten ohne schreiende Bilder im Kopf.
    Gerade dieses "MUSS fürs Leben" auf dem Gebiet der Sexualität für die jetzige Jugend macht mich traurig und wütend.
    Den Zauber des Entdeckens und Erwachens gibt es noch. Doch wie vielen gelingt es, die leisen, zarten, fantasievollen Töne zu hören/ spüren/ finden durch diese grobe, egoistische, respektlose (Medien)Welt ?

    PS 1: S. Berg ist nach div. Leseversuchen nicht "meine" Autorin geworden
    PS 2: Gratin verlockt außerordentlich und wird morgen auf unserem Tisch stehen

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    1. Liebe Christine, da schreibst du was! Die Jugend ist wirklich in keine einfache Zeit hineingeboren. Entdecken in leisen Tönen (was ein schönes Bild) wird nicht einfach. Vermutlich braucht die Jugend nochmals mehr eine innere Instanz,die ihnen bereits in jugendlichem Alter schon die Reife gibt, zu enbtscheiden, was man für sich will und nicht...

      Und mit Sybille Berg geht es mir ähnlich wie mit Margret Atwood: ich mag die Person lieber als ihr Werk. Sprich: ich lese (und schaue) lieber Interviews mit Sybille als dass ich ihre Bücher lese. Sie hat so gar kein Problem, sich kantig zu zeigen. Ihre Kolumne im Spiegel aber verfolge ich ganz gerne. Und es hat mich sehr beeindruckt, wie intensiv Sybille über ein Jahr lang Nachforschungen betrieb für *GMF*, Interviews führte (daraus resultierte das nächste Buch *Nerds retten die Welt*) und sehr spannende Schlußfolgerungen zog. Oder klug weiterdachte. So ist eine ihrer möglichen Visionen, dass das Sozial-Punkte-System von China für Europa als ökologisches Äquivalent eingeführt wird - einfach weil die Bereitschaft hierzulande so groß ist, etwas für den Umeltschutz zu tun...
      ganz herzliche Grüße gen Norden!

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  8. Liebe Micha mit Sonnengrüßen vom Meer zum Sonntag mal wieder dieses schöne Gefühl:
    wir sind nicht allein mit unseren Gedanken und Gefühlen.
    Christine Westermann ( 72) und Edin Hasanovic ( 28) starten ein Podcast "Jung und jünger"
    zum LEBEN - was ist ein guter Freund? Was ist Glück? Lebenserfahrung und junges Lebensgefühl im Austausch... eine hoffnungsvolle Idee...Wer wird es hören??

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    1. Also wir zwei beide, Christine, werden doch einem solchen Projekt auf jeden Fall eine Chance geben! Danke, dass du mich darauf aufmerksam machst! Frühlingsgrüße zurück...

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  9. Liebe Micha, und ich habe das Gefühl hier gar nicht angemessen kommentieren zu können, allein weil ich derzeit nicht die Zeit habe mich von deinen Links verführen zu lassen. Wofür - zum Glück - doch meistens Zeit und Möglichkeit besteht, ist zum Kochen und dieses Gratin wird es sicher bald bei uns geben! Ich habe kürzlich ein Sellerie-Kartoffelgratin gemacht #gleiches Prinzip, und das fande ich auch schon so lecker und fast besser als das pure Original, zumal ich Sellerie so als Gemüse eher selten verwende. Rote Bete mögen wir auch alle. Kurzum: Das wird es sicher geben und wir senden euch ganz herzliche Grüße! Hannah

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    1. Alles gut, Hannah, ich biete Anreize, Inspiration und Gedanken an - und jeder kann sich davon nehmen, was ihm zusagt und anspricht. Oder auch nicht. Ist doch schön, wenn jemand so wie du Spaß an meinen Rezepten hat - dafür hacke ich sie schließlich auch ein ;) Ich bin mir sicher, euch wird das Gratin genauso wie uns schmecken!
      viele sonnige Grüße zurück...

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