Aromatherapie: Frohe Ostern

Sonntag, 4. April 2021


Der Duft einer Mandelbaum-Plantage gleicht einem bunten, prall gefüllten Heißluftballon, der nicht mit Helium sondern mit Süße und Lieblichkeit gefüllt ist und der sich jedem mit einem Schwung über die Nase ergießt, der direkt davor steht. Mehr Rausch kann ein Riechorgan nicht verkraften! Ich war schwer versucht, mich einfach mit ausgebreiteten Armen unter die Bäume zu legen und zu hecheln wie ein Tier.

Aber vermutlich hätte unser Nachbar Max, dem die Mandelbäume gehören, mich dann für verrückt erklärt. Wobei ich noch grüble, ob das nicht die gesündeste Reaktion auf all den Wahnsinn, die Willkür, die Emotionalisierung, die Bedrohung, die Angstmacherei, das Aufeinanderhetzen und die Freiheitsberaubung wäre. Einfach liegen blieben, kurzes Winken, ein letztes freundliches Trapattoni angelehntes *Ich habe fertig* und implodieren.

Das klingt jetzt etwas depressiv, oder? Dabei bin ich nur immer wieder *down*. Und ich finde daran nichts Schlimmes, das freiraus zuzugeben. Mütend nennt es die Zeit. Und auch hier fällt wiederholt das Wort *bleiern*. Das darf man sich als beherrschende Zeitgeist-Stimmung ruhig ins Gedächtnis setzen, wenn später irgendwelche Hamster, die nicht miterlebt haben, wie das Kranke zum Maßstab aller Dinge erhoben wurde, neunmalklug fragen, ja, warum habt ihr denn diese Monate der zusätzlichen Zeit anstelle von Aufräumen nicht für Kreativität genutzt. Tja, weil Mercurius nicht mit Bleigewichten an den Füßen unterwegs ist, deshalb! Morgens kann ich sogar erschöpft aufwachen. Und das obwohl der Garten mich das schwarze Loch vergessen lässt.

Leben als Gegenstromanlage. Das powert auf Langstrecke aus. Sich lebensmüde zu fühlen, kennt wohl jeder, der sein Herz nicht an den Holländer Michel verkauft hat. Reden und sich anvertrauen hilft! (großes Ausrufezeichen!) Selbst professionelle Motivationstrainer - die in solchen Konjunkturzeiten für ihr Buisness ihre Kundschaft wie Rahm abschöpfen dürfte - werden mit ihrem einstudierten *Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade daraus*-Parolen unter Leistungsdruck geraten.

Wir alle haben unsere Päckchen zu tragen. Jetzt mit der C-Kacke kommt für alle noch eines obendrauf. Und dann heißt es *lauf, Forrest, lauf!* (dabei habe ich den Film noch nicht einmal gesehen). Ein Belastungstest, dem meine verweichlichte Generation wenig Puffer entgegenzuhalten haben dürfte. Es lief zu lange in ruhigen Gewässern, da ist die Frustrationsgrenze recht tief angesetzt. Die Vulnerabilität der Psyche und so - ich hatte es davon. Aber ich will hier kein *Mimimi*-Jammerkonzert anstimmen. Wir wissen schließlich auch, schlimmer geht immer: nichts leichter als jedem eine weitere zusätzliche Schippe draufzuschmeißen. Was üblicherweise sonst wirkt, ist der beruhigende Hinweis, dass alles irgendwann vorüber geht. Aber seht ihr das Ende? Ganz ehrlich gefragt: woran zieht ihr euch gerade noch hoch? Was sind eure Phantasien, Wunschvorstellungen, Zukunftsvisionen,  an denen ihr euch aufrichtet?

Dann denke ich: ist Leben nicht allgemein ein Bemühen und Abstrampeln? Das ist doch lediglich die Konsumindustrie, die uns die große Party verkaufen will. *Leben gleicht jener beschwerlichen Art zu wallfahrten, wo man drei Schritt vor und zwei zurück tun muss* (Goethe). Der geschichtliche Aspekt einer Epoche hat noch selten zur Belustigung beigetragen, denn ich vermute, dass der Fun-Faktor von Umweltkatastrophen, Hungersnöten, Wirtschaftskrisen und Kriegen auch nicht sonderlich ist. Die Erde als Ort des Massakers, des Leid, des Elends. Nüchtern betrachtet nicht gerade ein place to bee für Träumer, Partygänger, Schöntuer und Jammerlappen. 

Und dann kommt mir eines meiner spirituellen Vorbilder in den Sinn: der Leibarzt des Dalai Lamas. Fast 30 Jahre seines Lebens verbrachte er in chinesischen Konzentrationslagern, erlebte furchtbare Misshandlungen. Doch er schaffte es Kraft seines Geistes seinen Zorn und seine Wut nie nach außen zu richten, sondern ertrug diese Umstände - wie ich finde mit übermenschlichen Kräften - um sie zur eigenen Bewährung und Läuterung zu verwenden. Abgesehen von all den Wunden, die ihm dabei geschlagen wurden, so blieb ihm allerdings zeitlebens eine tiefe Traurigkeit. Ob nicht gerade Leid, Trauer und Not die entscheidenden Triebfedern sind, um Verbindung zu suchen zu etwas, das größer und weiser ist als man selbst?

Letzte Woche hat mich die Aussage eines kleinen, rumänischen Jungen, der schwer an Krebs erkrankt gewesen war, beeindruckt. Auf die Frage, was er anderen Kindern raten würde, die ähnliches durchmachen müssen wie er, wiederholte er erst nachdenklich den letzten Teil der Frage, wurde sehr ernst, dachte einen Moment nach und antwortete: *Mutig sein, an sich glauben und jeden Tag beten.*

Den Boden, auf dem das eigene Denken fußt und wurzelt, kann jeder nur aus sich selbst heraus schaffen:

*Träume braucht man nicht zu retten*
*Doch* sagt Gräber. *Was denn sonst?*
*Glauben. Träume bilden sich neu*.
(*Zeit zu leben, Zeit zu sterben* von Remarque)

In diesem Sinne, verliert den Glauben nicht: Fröhliche Ostern!





18 Kommentare

  1. Was traumhafte Fotos, Micha!
    Mir kommt alles manchmal vor wie ein schlechter Traum, aus dem man nicht erwacht! Aber ich weigere mich standhaft diesen Zustand als neue Realität zu akzeptieren. Das kann unmöglich meine Zukunft sein!
    Schöne Ostern auch dir und deinem Habib!
    herzlich, Sonja

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    1. Dein Wort, Sonja, in Gottes Ohr - ich habe auch eine andere Vorstellung von meiner Zukunft. Zum Beispiel würde ich SEHR gerne wieder reisen - um nur eine Wunschvorstellung laut zu machen.
      ganz herzlich zurück...

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  2. Ich möchte hier einmal das Tagebuch von Etty Hillesum, Das denkende Herz, empfehlen. Und ganz herzlichen Dank für die offene Schilderung des eigenen Em- und Befinden. In allem Schmerzlichen: frohe Ostern!

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    1. Danke, Nea, für diesen Buch-Tipp! Ich habs mir mal angeschaut und daraufhin auch direkt auf meine Wunschliste gesetzt. Das liest sich in der Beschreibung nämlich so, als könnte das Gemüt daran seinen Akku aufladen! Und ebenfalls merci fürs Lautmachen und deine Wünsche! Schönes Post-Ostern :)

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  3. Freunde, dass der Mandelzweig
    wieder blüht und treibt,
    ist das nicht ein Fingerzeig,
    dass die Liebe bleibt?

    Dass das Leben nicht verging,
    soviel Blut auch schreit,
    achtet dieses nicht gering
    in der trübsten Zeit.

    Tausende zerstampft der Krieg,
    eine Welt vergeht.
    Doch des Lebens Blütensieg
    leicht im Winde weht.

    Freunde, dass der Mandelzweig
    sich in Blüten wiegt,
    bleibe uns ein Fingerzeig,
    wie das Leben siegt.

    Schalom Ben-Chorin, im Jahr 1942 (!!)

    Frohe Ostern!
    Hannah

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    1. Passender, hübscher und lieblich duftender könnte ein Gedicht zu diesen Bildern der Mandelbaumplantage nicht sein! Vielen lieben Dank, Hannah, fürs Teilen und Eintippen!
      Ich hoffe, ihr hattet ebenfalls schöne, friedliche und harmonische Ostern!

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  4. Danke Dir! Mir fallen gerade so viel Worte ein, die man noch schreiben könnte, aber eigentlich hast Du alles richtig geschrieben.
    Leider gibt es hier nur Tiermandelbäumchen, ohne Duft. Und Verheißung auf die Früchte. Aber wunderschön anzusehen! Also genieße ich eben das.
    Auch Euch frohe Ostern.
    Liebe Grüße
    Nina

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    1. Wir versuchen alle, Nina, die kleinen Freuden des Lebens gerade mehr zu schätzen, oder, Nina?! Die Foto-Session in der Mandelbaum-Plantage hat mir großen Spaß gemacht!
      Ich hoffe, Nina, du hattest schöne Osterfeiertage!

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  5. *Ohne Blumen ohne Träume,
    ohne Spaß und Purzelbäume,
    ohne Schinken ohne Speck
    hat das Leben keinen Zweck.*
    las ich gestern unterwegs.
    Was diese Pandemie mit mir gemacht hat,
    sehr problematisch, fast schwierig.
    Der Kloß, er bleibt im Hals stecken,
    das Leben geht weiter.
    Liebe Grüße Regina

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    1. Lächelnd, nickend!
      Danke, Regina, für deinen Kommentar - er hat mir Freude bereitet!

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  6. Liebe Micha,
    was gäbe ich gerade für blühende Mandelbäume, Nachbarn völlig egal! Aber hier schneit es heute und ich kann noch nicht mal zum Ablenken von all der Ohnmacht in den Garten und auch der Glaube hat es schwer... Vielen Dank für Deine Zeilen, bleibt gesund und mutig,
    ganz liebe Grüße aus Dresden, Sylke

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    1. *Ohnmacht*, Sylke, ist auch ein gutes Stichwort. So fühlt sich für mich die Zeit im Außen auch an! Ich drücke dir die Daumen, dass du bald wieder in dein Garten-Hort zurückkehren kanns. Auch hier flöckelt es heute immer mal wieder zwischendurch! Regen (und zwar mal ein richtiger Schauer) wäre mir VIEL lieber!
      viele liebe zurück nach Dresden!

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  7. Klar sehe ich das Ende. Mein 7 Monate alter Sohn macht jeden Tag wunderbar. Das ist mein Lichtblick an jedem Tag.

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    1. Das gönne ich dir sehr! Lichtblicke aller Art sind herzlich Willkommen - auch als frischgeschlüpte Erdenbürger. Von einer Freundin - ebenfalls mit Corona-Baby, unwesentlich jünger als deiner - meinte allerdings, dass sie ihrer Tochter anmerken würde, dass menschlicher Kontakt eingeschränkt ist: sie würde richtig seltsam auf fremde Menschen reagieren... Aber sind ja nicht alle Babys gleich!

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    2. . jetzt ist die Zeit für die Fremdelphase! Unser Kleiner hat trotz Corona beim Spaziergang andere Mütter und Babys gesehen und reagiert noch offen und freundlich auf alle, die er trifft. Das kann sich aber auch schnell ändern. Mglw. ist das Kind, das Du kennst, bereits in der Fremdelphase.

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  8. Ja, in diesen Zeiten scheint es mir umso wichtiger, seine ganz persönlichen Kraftquellen zu finden und vielleicht auch zu akzeptieren, dass man diese ganz bewusst braucht und pflegen muss, während es im "Normalzustand" einfach so läuft ohne sich allzu sehr darum zu kümmern. Für mich: Die Natur und die Arbeit damit/darin, gute anregende Lektüre, Aufbauendes in Begegnungen, und nicht aufzuhören zu fragen / lernen / nach dem Sinn zu suchen.
    Zwei französische Bücher / Texte haben mich besonders berührt und Mut gemacht in der letzten Zeit: "Et la lumière fut" und "Contre la pollution du moi", beide von Jacques Lusseyran.

    Danke von Herzen für das Gesamtpaket in Ihrem Blog, ich lese besonders gern die Texte, aber wenn ich mal ein Rezept mitnehme, dann ist es immer superfein (Pasteìs de nata zu Ostern - njami!)!

    Liebe Grüsse aus der Schweiz und "courage" für die downs

    Al.

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    1. Was ein wohltuender Kommentar, Al.! Dein Buch - ich werde mit *Et la lumière fut* beginnen - habe ich mir direkt auf die Wunschliste gesetzt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Lektüre nach meinem Gusto ist! Vielen Dank für den Tipp! Etwas Rückenwind - egal woher, gerne auch mittels Literatur - sowie Mut tut immer gut. Gerade besonders!

      Ein grand merci auch für deine charmanten Worte zu meinem Blog! Schön, dich unter meinen Leserinnen (ich tippe auf weiblich ;) zu wissen!
      (die Pasteis de nata finde ich übrigens auch spitze!)

      ganz herzliche Grüße zurück in die Schweiz!

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    2. Danke für die Antwort! Ja, richtig gedacht :-)
      Würde mich ja dann wundernehmen, ob Sie etwas mit der Lektüre anfangen konnten!
      Herzlich
      Al.

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